Flagge von Simbabwe

Menschenrechts-Aktivistin Gulchehra Hoja als junge Frau. (c) Gulchehra Hoja: DER DUFT VON STEINEN

Die Journalistin und Aktivistin Gulchehra Hoja kämpft unermüdlich gegen die Verfolgung der Uiguren und die Auslöschung der uigurischen Kultur. Im Interview spricht sie über die Repressalien, denen ihre Familie ausgesetzt ist und ihre Forderungen an die internationale Politik.

Gulchehra Hoja, Sie sind Uigurin – wie hat Ihre Herkunft Ihr Leben beeinflusst und geprägt?

Ich wurde in Urumqi, der Hauptstadt von Ostturkestan, geboren. In der Gegend, die offiziell als Autonome Region Xinjiang-Uigur (XUAR) bezeichnet wird, leben etwa 12 Millionen Uiguren, überwiegend Muslime. Ich wuchs in einer Familie auf, für die es eine Frage der Ehre war, sich für die uigurische Nation und ihr Land einzusetzen und damit das Vermächtnis unserer Vorfahren in Ehren zu halten.

Der schönste Spielplatz meiner Kindheit war ein Museum, in dem mein Vater arbeitete. Dieses Museum voller majestätischer Zeugnisse der uigurischen Geschichte war eine faszinierende Welt. Wie könnte ich da nicht stolz auf meine uigurische Nationalität sein? All meine Hoffnungen, Träume, Freuden, Sorgen, Errungenschaften und sogar meine Zukunft sind mit diesem Gefühl verbunden. Ich liebe mein uigurisches Volk; alles, was mit der uigurischen Kultur zu tun hat, ist wertvoll für mich, aber es ist 20 Jahre her, dass ich Ostturkestan verlassen habe. Wie jeder Uigure in der Diaspora träume ich davon, in mein Land zurückzukehren.

In Ihrem Buch Der Duft von Steinen beschreiben Sie eine fast idyllische Kindheit und die wunderbaren Facetten der uigurischen Kultur: Was ist Ihre schönste Erinnerung aus dieser Zeit?

Die wichtigsten und glücklichsten Momente im uigurischen Leben sind die, in denen die Familie zusammen ist. In meiner Erinnerung sind das vor allem unsere beiden großen Feiertage. An diesen Tagen haben wir so viel gelacht und die Musik war besonders lebendig: mein Vater spielte die Dutar, meine Mutter sang schöne Lieder und ich tanzte inmitten der Verwandtschaft.

Ich denke an mein mit Blumen geschmücktes Zuhause, den wunderschönen handgefertigten Wandteppich mit eingewebten Granatapfelblüten, die unglaublich schönen kleinen Keramiken und Kristalle, die meine Mutter von überall her sammelte, die Familienbilder an der Wand. Jedes Mädchen in der Familie trug ihr langes Haar wunderschön frisiert und ihren besten Goldschmuck, jeder Junge trug seine beste Doppa (einen traditionellen Hut) und benahm sich wie ein Erwachsener, der versuchte, andere zum Lachen zu bringen. Im Haus wimmelte es von Menschen, wir waren so glücklich, die Liebe zwischen allen war sichtbar uns spürbar. Ich wünschte, wir könnten unser ganzes Leben zusammen verbringen, genauso glücklich wie an jenen Tagen.

Gulchehra Hoja in einem Klassenraum

Gulchehra Joha als Aushilfslehrerin in einer 6. Klasse. Es geht um die uigurische Sprache und Literatur. Hinten an der Tafel steht „Chinesisch Lernen. Chinesisch Beherrschen. Chinesisch Benutzen“. Ein Omen. (c) Gulchehra Hoja

Wie ist die aktuelle Situation der Uiguren? Beschreiben Sie das Ausmaß der Unterdrückungsmaßnahmen und den Versuch der chinesischen Regierung, die uigurische Kultur auszurotten.

Die Uiguren leben schon seit Tausenden von Jahren in Ostturkestan. Doch seit 2015 hat die die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) zwischen 2 und 3 Millionen Uiguren gewaltsam in Konzentrationslagern inhaftiert – nur weil sie Uiguren sind. Uiguren wurden gefoltert, zur Arbeit gezwungen, zwangsverheiratet und sogar zwangssterilisiert. Außerhalb der Lager hat die KPCh ein Massenüberwachungsprogramm mit Straßensperren, Kameras in Privathäusern und Militärpolizei eingeführt.

Welche Vorwände nutzt die Regierung, um Umerziehungslager und Folter zu rechtfertigen?

Zunächst leugneten die chinesischen Regierungsvertreter die Existenz der Lager. Nachdem jedoch Beweise aufgetaucht waren, gestand China zu, dass es „Berufsbildungs- und Ausbildungszentren“ gebe, um zu verhindern, dass Uiguren von Extremen und Idealen beeinflusst werden, und „terroristische Aktivitäten im Keim zu ersticken“. Mit dem Hinweis darauf, dass es in Xinjiang seit Dezember 2016 keinen Terroranschlag mehr gegeben habe, behaupteten die Beamten nun, die Lager hätten Gewalt verhindert. Uiguren werden generell als Terroristen gebrandmarkt, aber wie sollte zum Beispiel mein 81 Jahre alter Vater, der berühmte uigurische Historiker und Archäologe, Xi Jinping terrorisieren? Mit seinen Büchern? Mit seinem Wissen über Geschichte?  Und wie habe ich Xi terrorisiert? Mit meiner Feder, meiner Stimme oder mit meiner Würde und meinem freien Geist?

Der wahre Terrorist ist Xi, und die KPCh. Doch sie entziehen sich der Verantwortung für diese abscheulichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir werden weiter für Gerechtigkeit kämpfen. Die freie Welt muss jetzt handeln, bevor es zu spät ist.

Sie haben Ihr Heimatland mit Ende 20 verlassen und das hat nicht nur Ihr eigenes Leben, sondern auch das Ihrer Familie grundlegend verändert. Was wissen Sie derzeit darüber, wie es Ihren Verwandten geht?

Meine Familie hat schwer gelitten. Seit ich weg bin, stehen meine Eltern und mein Bruder unter Hausarrest. Weil ich angefangen habe, über den Völkermord zu berichten, hat die chinesische Regierung 25 meiner Verwandten in die Konzentrationslager gebracht. Seit ihrer Verhaftung habe ich von den meisten von ihnen nichts mehr gehört.

Welche Rolle spielt Ihr Buch im Zusammenhang mit Ihrem Kampf gegen den Völkermord?

So wie die Samen der Hoffnung und der Liebe von meinem Vater und meinen Großvätern in mein Herz gepflanzt wurden, habe ich dieses Buch als Hoffnung und Liebe eines Uiguren für die Menschheit neu gepflanzt. Ich hoffe, es wird wachsen und mehr Menschen inspirieren.

Was ist Ihr größter Traum? Was wünschen Sie sich für Ihr Volk?

Als Mensch habe ich einen sehr einfachen Traum: nach Hause zu gehen und meine Eltern und meinen Bruder zu umarmen. Als Journalistin motiviert mich dieser Traum jeden Tag: Eines Tages werde ich verkünden können, dass Ostturkestan jetzt frei ist. Allein der Gedanke an diesen Moment gibt mir Kraft. Freiheit ist Leben. Ich wünsche mir, dass jeder frei leben kann.

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