Kindergarten

© shutterstock / Frank Lambert

Studien am Institut für Schulentwicklungsforschung belegen, dass Bildungserfolg stark mit der sozialen Herkunft der Kinder zusammenhängt. In Deutschland gibt es allerdings für Kinder keine Chancengleichheit. So hat beispielsweise bei gleicher Begabung und gleicher Leistung das Kind eines Professors hierzulande eine 2,5 Mal höhere Chance eine Gymnasialempfehlung zu erhalten als das Kind eines Facharbeiters.

Der Kommunalpolitiker Falko Liecke zeigt in seinem Buch Brennpunkt Deutschland am Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln unter anderem auch diesen Missstand auf. Als ein wichtiges Mittel für mehr Bildungsgerechtigkeit sieht er so genannte Sprach-Kitas – allerdings steht die Förderung solcher Kitas aktuell auf der Streich-Liste des Bundesfinanzministers. Wie der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit unter diesen Umständen in Neukölln aussieht? Falko Liecke berichtet offen und ehrlich von unfassbaren Zuständen in diesem Brennglas der Republik.

Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit

Und Deutschland sollte hinhören, denn: „Die Probleme in Neukölln sind so vielfältig wie seine 330.000 Einwohner aus über hundertsechzig Nationen. Sie werden zu unser aller Problemen. Neukölln ist in seiner Widersprüchlichkeit, seiner Vielfalt, seinen sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Spannungen ein Mikrokosmos, ein Labor, ein Spiegel unseres ganzen Landes. Was wir hier erreichen, hat zuvor in Deutschland Schule gemacht und wird es wieder tun. Und wenn wir hier versagen, wird die Zukunft unserer Kinder und Enkel eine andere. Es ist an uns allen, das zu verstehen und das Beste aus Neukölln, das Beste aus diesem Land zu machen.“In Berlin-Neukölln, aber auch deutschlandweit ist die Chancengleichheit für Kinder wieder einmal bedroht: Das Bundesfinanzministerium hat in seinem Haushaltsentwurf 2023 das Geld für das Programm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ gestrichen. Konkret betrifft das in dem Fall 62 Kitas in Neukölln und 8400 deutschlandweit. Dabei setzt das Programm genau da an, wo soziale Ungerechtigkeit beginnt, genauso wie beispielsweise die Projekte Stadtteilmütter oder Kiezsterne.

Sprachförderung bedeutet mehr Chancengleichheit

„Alle Kinder sollen von Anfang an von guten Bildungsangeboten profitieren“ – das hat sich das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend auf die Fahnen geschrieben. Im Januar 2016 startete deshalb auch das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“. In solchen Sprach-Kitas wird besonders viel Wert auf sprachliche Bildung im Kindergartenalltag gelegt. Eine zusätzliche Fachkraft für sprachliche Bildung zeigt den anderen Erziehern unter anderem, wie sie die sprachliche Entwicklung der Kinder beobachten, dokumentieren und mit den Familien zusammenarbeiten können.

Sprach-Kitas sind dabei nicht einfach nur Projekte zur Sprachförderung. Es geht auch um Teilhabe und Chancengleichheit für Kinder und um das Wertschätzen sozialer Vielfalt. Denn beispielsweise Kinder mit unterdurchschnittlichen Deutschkenntnissen haben bei der Einschulung und in ihrer weiteren schulischen Laufbahn Nachteile, die später nur schwer ausgeglichen werden können. Frühkindliche Bildung lautet das Zauberwort.

Bundesweit ist etwa jede acht Kita eine Sprach-Kita. Davon profitieren mehr als 500.000 Kinder und ihre Familien. Das mit zuletzt rund 200 Millionen Euro jährlich ausgestattete Programm Sprach-Kitas war allerdings von Anfang an als befristetes Modellprogramm angelegt. „Kurzsichtig und sozial ungerecht“ findet das Falko Liecke, der sagt: „Damit werden mit Ansage die Bildungsverlierer der nächsten Jahre produziert.“

Vorbildhaftes Projekt Kiezsterne

In Berlin-Neukölln wurde außerdem das Ehrenamtsprojekt Kiezsterne von Mitarbeitern des Jugendamts, in dem Falko Liecke arbeitet, mitentwickelt. Seit 2016 leistet es gute Arbeit: Hier werden junge Eltern aus allen sozialen Milieus darin bestärkt, auf ihre Nachbarn zuzugehen und Unterstützung anbieten.

Hintergedanke ist dabei, junge Mütter und Väter als Multiplikatoren für Familienzentren, Nachbarschaftstreffs und Frauencafés zu gewinnen. Es geht letztendlich darum, Beziehungen aufzubauen, Hilfen anzubieten und Erfahrungen zu teilen. „Diese Beispiele und etliche weitere zeigen mir, dass Integration über die Frauen laufen muss, wenn sie eine Chance auf Erfolg haben soll“, schreibt Falko Liecke in Brennpunkt Deutschland.

Chancengleichheit für Kinder mit lokalen Projekten

„Wir brauchen diese kleinen, fast immer prekär finanzierten lokalen Projekte, die eine unschätzbar wertvolle Arbeit leisten. Sie heißen in Neukölln zum Beispiel Wellcome, Kiezsterne oder Stadtteilmütter„, berichtet Liecke. „Am erfolgreichsten sind sicherlich die Stadtteilmütter, die mittlerweile weit über die Grenzen Neuköllns und Berlins hinaus Nachahmer gefunden haben: Arbeitslose und oft minimal qualifizierte Frauen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, werden mit einer Förderung vom Jobcenter in grundlegenden gesellschaftlichen, gesundheitlichen und Bildungsfragen ausgebildet.“ Bei dieser Ausbildung über sechs Monate geht es zum Beispiel darum, warum der Besuch einer Kita so wichtig ist für Kinder. Es geht um Sexualentwicklung, Rechte von Kindern und Frauen, Sprachentwicklung, gewaltfreie Erziehung und vieles mehr, was in manchen Familien – und diese Erfahrung macht Liecke in seinem Bezirk immer wieder – nicht zum Tagesgeschäft gehört.

Und die Frauen profitieren nicht allein durch das gewonnene Wissen: Oft zum ersten Mal in ihrem Leben werden sie für ihre Arbeit bezahlt. Verlässlich, wertschätzend, sozialversicherungspflichtig. „Es war ursprünglich auch ein Ziel des Projektes, diese Frauen über die Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt zu stärken“, erklärt Liecke. „Ein Ziel, das sich in den allermeisten Fällen aber nicht erfüllt. Für die meisten Teilnehmerinnen ist der dauerhafte Verbleib als Stadtteilmutter die echte Chance. Aus meiner Sicht schmälert das den Erfolg des Projektes aber nur unwesentlich.“

Nach erfolgreicher Schulung gehen die Stadtteilmütter dann zu den Familien aus ihren Herkunftsländern und teilen ihr neu erworbenes Wissen. Und zwar so, dass es auch gehört wird: „Auf Augenhöhe, vielleicht nicht immer perfekt und lehrbuchreif, aber so, dass auch die Mütter beim Frauenfrühstück im Harzer Kiez es verstehen und für ihren von Monotonie und Abschottung geprägten Alltag nutzen können. Es sind kleine Schritte. Mir sind sie oft zu klein. Aber ohne sie hätten wir gar keine Chance, voranzukommen.“

 

Mehr zum Thema:

Zum Newsletter anmelden