

Die Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga. © Imago
„Tsitsi Dangarembga ist eine weithin hörbare Stimme Afrikas“, so Karin Schmidt-Friderichs bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die Schriftstellerin aus Simbabwe. „Kein Zweifel – diese Frau ist außergewöhnlich“, urteilt Bascha Mika in der Frankfurter Rundschau. Jetzt erscheinen nach Dangarembgas Romanen mit SCHWARZ UND FRAU. Gedanken zur postkolonialen Gesellschaft ihre bemerkenswerte Essays: „Ergreifend, tiefgründig, unerlässlich. Eine Offenlegung der menschlichen Kosten der Kolonialisierung“, findet Autorin Audrey Magee.
Ein exklusiver Auszug aus SCHWARZ UND FRAU:
Oft scheint es, als gäbe es gar keine Antwort
Die erste Wunde von uns allen, die als „schwarz“ klassifiziert werden, ist das „Imperium“. Das ist eine Wahrheit, der viele von uns – ob wir nun dieser Kategorie angehören oder nicht – lieber nicht ins Auge sehen. Heute ist das Wunden schlagende Imperium das der westlichen Staaten: das Imperium, das in seiner Hochzeit im 19. Jahrhundert 80 Prozent der Erde umfasste. Dazu gehörte das britische Empire, das mein Land Simbabwe in den 1890er-Jahren kolonisierte. Ich wurde ins Empire hineingeboren: Meine Eltern waren ein Produkt des Empire wie ihre Eltern vor ihnen und ihre Großeltern, meine Urgroßeltern.
Ein wichtiges, frühes Ziel des Imperiums war, was man „Handel“ nannte. Die Prämisse für Handel ist Verlangen. Verlangen ohne Liebe verkommt zu Lust, und unpersönliche Imperien können nicht lieben. Lust – unpersönliches Verlangen, das Befriedigung fordert – ist in jeder Hinsicht gefährlich: in persönlicher, sozialer und globaler Hinsicht. Imperiale Lust hat jeden Teil der Welt verletzt, der mit dem Imperium in Berührung kam, und heute wissen wir, dass es den Planeten verletzt hat, der unser Zuhause ist. Das Imperium hat demnach nicht nur die verstümmelt, die es zu unterwerfen suchte, sondern auch sich selbst. Das ist die zweite Wunde, die uns alle betrifft. Wir müssen erst noch lernen, wie wir von den Auswirkungen einer Institution genesen, die schon vor unserer Geburt existierte, deren Systeme jedoch noch arbeiten, um zu entmachten, zu entmutigen und zu verstümmeln. Wie uns das gelingen kann, ist eine Frage, die sich nur sehr wenige zu stellen trauen, weil es – abgesehen davon, dass sie die Antwort nicht wissen – oft scheint es, als gäbe es gar keine Antwort.
Das Unaussprechliche wird endlich ausgesprochen
Toni Morrison beschrieb bestimmte Gräuel, die manche Menschen erleiden mussten, als unaussprechlich, aber diejenigen, die heute dem Imperium unterworfen sind, sprechen. Dieses Sprechen entlarvt imperiale Systeme und Strategien, deren Zweck es lange war, die Auswirkungen des Rassismus in der Welt zu verbergen. Schwarze führen die Forschung und den Aktivismus an, während andere, darunter weiße Manner, auch wenn sie um sich treten und schreien, dazu aufgefordert sind, die Ethnisierung der Welt zu diskutieren. Diejenigen, die wie ich von der Hybris des Weißseins verletzt wurden, sagen nicht langer „Es schmerzt“ und behandeln sich selbst auf selbstzerstörerische Weise oder lassen ihren ruinösen, wütenden und bitteren Schmerz an den eigenen Communitys aus, wie es diese Hybris verlangt. Heute sagen wir: „Du hast mir Schmerzen zugefügt“, Worte, die nicht auf die Erniedrigung und den Tod infolge unerbittlicher Selbstverstümmelung verweisen, sondern auf die Möglichkeit, Abstand zu nehmen von demjenigen, der die Schmerzen zufügt, und sich in jemanden zu verwandeln, der nicht mehr verstümmelt werden kann.
„Schaut mal!“, werden wir, die wir schwarz oder braun sind, jetzt häufig ermahnt, da das Unaussprechliche endlich ausgesprochen wird. „Warum sprecht ihr von Schaden? Da sind die Straßen, die Krankenhäuser. Ihr könnt lesen und schreiben, ihr habt Medikamente. Wie könnt ihr da von Schaden sprechen?“
Noch bevor eine schwarze oder braune Person in den akademischen Systemen imperialer Bildung assimiliert wurde und noch bevor sich im Imperium Räume auftaten, in denen diese Fragen gestellt werden konnten, hatten wir die Antwort. Wir sagten: „Wir spüren es.“
In Steve McQueens biografischem Film 12 Years a Slave von 2013 ist Patsey eine Sklavin afrikanischer Abstammung auf der Plantage von Edwin Epps. Bei ihrer Ankunft leidet sie sichtbar, weil sie von ihren Kindern getrennt wurde. Mrs Epps befiehlt, dass Patsey etwas zu essen bekommt, damit sie schneller vergisst. Patseys Schmerz ist ein intensives Statement, das schreit: „Ich spüre es.“ Für Mrs Epps ist Patseys Schmerz nur ein weiteres Beispiel bedeutungsloser Dysphorie bei einer Haushaltshilfe, die behandelt werden muss wie auf den Boden gefallene Zwiebelschalen oder unter dem Bett angesammelter Staub: Sie müssen weggekehrt werden.
chikuru kufema – wichtig ist zu atmen
Patseys affektives Statement wird ignoriert. Das Imperium ertrug es nicht, unsere Schreie zu hören, weil es wusste, dass es die Ursache dafür war. Einerseits ist der Ausdruck unseres Schmerzes der Beweis, dass wir leben, und verkündet, dass wir leiden, aber noch atmen. Deswegen gibt es in Simbabwe ein Sprichwort, chikuru kufema – „wichtig ist zu atmen“. Was tot ist, fühlt nichts. Wir sind nicht tot, wenn wir protestieren. Andererseits ist unser Ausdruck des Schmerzes eine direkte Bedrohung [der Systeme] des westlichen Imperiums, das auf der Illusion beruht, etwas zu geben, um selbst das Beste zu erhalten, das es von anderen Völkern begehrt.
Unser Ausdruck des Schmerzes besagt: „Das ist kein Geschenk.“
Heilen ist weben, ein Zusammennahen und erneutes Zusammenfügen der Teile, die verstümmelt und verkrüppelt wurden. Das Weben von Worten – und durch diesen Prozess Zeit, Aktion und Reaktion zu einem neuen Ganzen zu integrieren – macht aus dem Schreiben gegen das Imperium einen Ort potentieller Heilung. Manchmal bildet das Schreiben eine Narbe, geschwollen, oft eiternd, über der Wunde. Das beste Schreiben öffnet die Wunde wieder und wieder und reinigt sie. In diesem Fall klingt das Trauma mit jeder Phrase, jedem Satz, mit jedem Absatz und mit jeder Seite weiter ab. Die offene Wunde wird in etwas verwandelt, das in einem bestimmten Licht wie Haut aussieht, die nie verletzt wurde. Was geschehen ist, ist geschehen. Diese Art Verwandlung ist unsere beste Option.
aus Tsitsi Dangarembga: SCHWARZ UND FRAU
„Weltweit bewundert, in ihrer Heimat verfolgt.“
NZZ
„eine der bemerkenswertesten Personen, die je mit der Booker-Nominieung geehrt wurden.“
New Statesman
„Eindringlich, fesselnd, umwerfend brillant… Eine unverzichtbare Lektüre für jeden, der sich für die Nachwirkungen des Empire interessiert – und das sollten wir alle sein. Tsitsi Dangarembga ist eine der einflussreichsten Schriftstellerinnen unserer Zeit.“
Sara Collins, Autorin von Das Geständnis der Frannie Langton
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