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Millionen Menschen starben in den Konzentrationslagern. Die Augenzeugenberichte der wenigen Überlebenden sind wertvolle Zeitdokumente. (c) Shutterstock

Seit 1996 begeht der Deutsche Bundestag den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Viele der eingeladenen Redner sind Überlebende des Holocaust, die auf eindrücklichste Weise an die Verbrechen der Nazi-Zeit erinnerten und mahnten. Hier kommen sie in Auszügen erneut zu Wort:

Dicht an dicht, so standen sie am Straßenrand in jener Nacht des 30. Januar 1933. Männer und Frauen, Junge und Alte. Und sie grüßten die vielen Hunderte, die in ihren khakifarbenen Uniformen mit dröhnendem Marschtritt durch das Brandenburger Tor in die Stadt einmarschierten – brennende Fackeln in ihren Händen. Die Massen am Straßenrand rissen ihre Arme hoch dem Himmel entgegen und schrien ihre Begeisterung hinaus über die Machtergreifung, wie die neuen Herren des Deutschen Reiches ihren auf demokratische Weise errungenen Wahlsieg bezeichneten. Und die marschierenden Kolonnen sangen ihre Lieder dazu: „Wenn´s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s noch mal so gut“, war eines davon. War ´s nur ein Lied oder symbolischer Ausdruck ihrer Politik?  Inge Deutschkron 2013 vor dem Deutschen Bundestag

Die in den Vormittagsstunden des 22. Juli 1942 begonnene Deportation der Juden aus Warschau nach Treblinka dauerte bis Mitte September. Was die „Umsiedlung“ der Juden genannt wurde, war bloß eine Aussiedlung – die Aussiedlung aus Warschau. Sie hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod. Marcel Reich-Ranicki 2012 vor dem Deutschen Bundestag

Die Nazis mögen das KZ nicht erfunden haben, aber sie haben es zu einer ganz neuen Entwicklung gebracht. Nicht nur der Mord und das Leiden in diesen Höllen soll uns beschäftigen, sondern die hohe Kunst der Erniedrigung, der Versuch, Menschen zu entmenschlichen, indem sie durch ihre physiologischen Bedürfnisse kontrolliert wurden. Das ist ohne Vorgang in der menschlichen Geschichte. (…) Was die Nazis damit erreichten, war nicht die Entmenschlichung der Juden, sondern ihrer selbst; denn sie stellten sich damit auf die niederstmögliche Stufe der Menschheit. Prof. Dr. Yehuda Bauer 1998 vor dem Deutschen Bundestag

Wie viele Menschen sind in Auschwitz gestorben?

Von 1940 bis 1945 ermordeten die Nazis im Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau systematisch rund 1,1 Millionen Menschen. Die allermeisten von ihnen, mehr als eine Million, waren Juden. (Quelle)

Wie viele Häftlinge haben Auschwitz überlebt?

Historiker konnten rekonstruieren, dass von den Deportierten insgesamt 223.000 das Lager Auschwitz lebend verlassen haben. Das bedeutet aber nicht, dass alle von ihnen der Ermordung durch die Nazis entgehen konnten: 213.000 Häftlinge wurden in andere Konzentrationslager verlegt. Viele von ihnen, insbesondere jene, die gegen Ende des Krieges zu langen Todesmärschen gezwungen wurden, starben auf dem Weg.

1.500 Häftlinge wurden aus Auschwitz entlassen, 500 konnten fliehen und 8.000 befreit werden. (Quelle)

Was waren die Todesmärsche?

Als 1945 die Allierten vorrückten, räumten die Nazis das Vernichtungslager Auschwitz und schickten die Insassen auf einen Marsch gen Westen. Zu dem Zeitpunkt waren in Haupt- und Nebenlagern des Komplexes Auschwitz noch 67.000 Häftlinge. Mit Zügen hätte die Verlegung in einer solchen Dimension nicht schnell genug durchgeführt werden können. Auf den Märschen zu Eisenbahnknotenpunkten und in andere KZs starben nach Schätzungen 9000 bis 15.000 Menschen. Auch aus anderen Konzentrationslagern organisierte die SS Todesmärsche. (Quelle)

Menschenhass ist etwas Schreckliches. Wir sind alle als Brüder und Schwestern geboren. Mein innigster Wunsch ist die Versöhnung aller Menschen. Entzünde heute eine Kerze zur Erinnerung an die ermordeten unschuldigen Kinder, Frauen und Männer! Entzünde eine Kerze für das Leben, und halte die Dunkelheit zurück! Sei Hüter deiner Schwestern und Brüder, dann wird dein Glück immer blühen! Inge Auerbacher 2022 vor dem Deutschen Bundestag

Das Warschauer Ghetto selbst war ja eine Fabrik des Todes, das Einsammeln der Hungertoten in den Straßen ein alltäglicher Anblick. (…) Das Gespenst des Hungers trieb Menschen sogar dazu, sich freiwillig auf den Umschlagplatz zu melden, weil sie hofften, sie bekämen ein Stück Brot. Oder umgekehrt – auf dem Umschlagplatz gaben Ärzte ihre eigene Portion Zyankali an Kinder ab. „Denn Zyankali ist jetzt das Kostbarste, ein unbezahlbarer Schatz. Zyankali, das ist ein stiller Tod, es rettet vor den Waggons“, schrieb Marek Edelman. Mitunter rettete auch die Arbeitsbescheinigung der Schultz’schen Werkstätten einen 10-jährigen Zwangsarbeiter vor dem Umschlagplatz. Für die anderen, für fast alle, war der Umschlagplatz und das Warschauer Ghetto überhaupt ein Ort verlorener Hoffnung. Prof. Bronislaw Geremek 2002 vor dem Deutschen Bundestag

Ich erinnere mich an die Ankunft der englischen Soldaten in Bergen-Belsen. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, wir wussten nichts mehr. Wir konnten uns kaum darüber freuen. Die Befreiung kam für uns zu spät. Wir hatten das Gefühl, jede Menschlichkeit und jeden Lebensmut verloren zu haben.
(…) Das „Niemals wieder“ hat künftige Generationen noch nie zu schützen vermocht. Es braucht mehr als Worte, mehr als gute Vorsätze, mehr als gute Absichten.
Simone Veil 2004 vor dem Deutschen Bundestag

In Ungarn ziehen Rechtsextremisten wieder in schwarzer Kluft umher und schikanieren und überfallen Juden, Sinti und Roma. Neonazis haben Roma ermordet, darunter einen fünfjährigen Jungen. Es gibt in Gaststätten und Restaurants wieder Schilder mit der Aufschrift „Für Zigeuner verboten“. Die Geschichte wiederholt sich. Diese Länder sind vor Kurzem erst der Europäischen Gemeinschaft beigetreten, bezeichnen sich selbst als kultiviert.  Zoni Weisz 2011 vor dem Deutschen Bundestag

Der klägliche Rest der polnischen Juden, der in deutschen Konzentrationslagern, bei Sklavenarbeit, bei den Partisanen, in Bunkern im Wald, in Verstecken oder mit einer Notidentität überlebt hatte, lenkte größtenteils  die ersten Schritte in die Heimat; hauptsächlich, um festzustellen, ob jemand aus der Familie überlebt hatte, mitunter auch in der Hoffnung auf eine Rückkehr ins eigene Haus oder auf die Rückgabe von Hab und Gut, das man notgedrungen bei nicht jüdischen Nachbarn hinterlassen hatte. Im Allgemeinen erfuhren sie, dass niemand von ihren Angehörigen mehr lebte, und selten empfingen ihre alten Nachbarn sie mit offenen Armen. In der Regel waren diese unangenehm überrascht, dass jemand zurückkehrte, und in kleineren Städten oder Dörfern endete das nicht selten mit einem Meuchelmord, um fremdes Eigentum nicht zurückgeben zu müssen. Prof. Dr. Feliks Tych 2010 vor dem Deutschen Bundestag

Der heutige Hass auf Juden ist ebenso irrational, wie er es immer schon war, und wie immer schon sind alte und neue Verschwörungstheorien in Umlauf, vor allem bei den Rechtsradikalen, während bei der antisemitischen Linken die politisch korrekte Art der Rechtfertigung ihres Hasses darin besteht, die israelische Politik obsessiv anzugreifen und dabei zugleich das Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Selbstverständlich ist es legitim, die israelische Regierung zu kritisieren, aber die schiere Heftigkeit und das Ausmaß der Angriffe sind schlicht absurd und enthalten den Beigeschmack eines nur dürftig verhüllten Antisemitismus. Saul Friedländer 2019 vor dem Deutschen Bundestag

Aber haben denn nicht auch die Völker der Welt mit ihnen so unendlich viel verloren, nicht nur mein eigenes? Wie viele Wohltäter der Menschheit kamen da um, als sie gerade einen Monat, ein Jahr alt waren? Wissenschaftler hätten unter ihnen sein können, Forscher, die ein Heilmittel für AIDS oder eine Heilung für Krebs erfunden hätten. Große Gedichte hätten sie schreiben können, die jedem Inspiration geboten, ihn zum Verzicht auf Gewalt und Krieg bewegt hätten, oder auch nur ein paar Worte oder ein Lied, in denen Menschen endlich zusammengefunden hätten. Elie Wiesel 2000 vor dem Deutschen Bundestag

Im Januar vor 73 Jahren wurde Auschwitz befreit, und die unvorstellbarsten Verbrechen an unschuldigen Menschen kamen langsam in die Öffentlichkeit. Das Ausmaß der Katastrophe war gar nicht zu fassen. (…) Was in Auschwitz geschah, war damals bereits bekannt, nur wollte man es einfach nicht glauben. Leider war es wahr. Dr. h. c. Anita Lasker-Wallfisch 2010 vor dem Deutschen Bundestag

Ich muss Ihnen nicht die Chronologie antisemitischer Vorfälle in unserem Land
darlegen. Sie erfolgen offen, ungeniert – beinahe täglich.
Verschwörungsmythen erfahren immer mehr Zuspruch. Judenfeindliches Denken
und Reden bringt wieder Stimmen. Ist wieder salonfähig – von der Schule bis zur
Corona-Demo. Und natürlich: im Internet – dem Durchlauferhitzer für Hass und
Hetze aller Art.
Dr. h.c. Charlotte Knobloch 2021 vor dem Deutschen Bundestag

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