

Überall in Europa gewinnt die Neue Rechte an Einfluss. © shutterstock
Giorgia Melonis Rechtsbündnis um die Partei Fratelli d’Italia stellt die absolute Mehrheit im italienischen Parlament. Die aktuelle Regierungskoalition in Schweden lässt sich von den ultrarechten Schwedendemokraten unterstützen. Ungarn und Polen werden schon seit Längerem von Rechts regiert. Im EU-Parlament haben sich Abgeordnete aus zehn Ländern zur “Fraktion Identität und Demokratie” zusammengeschlossen. Was steckt hinter der „Neuen Rechten“ in Europa? Was und wen meint der Begriff “Neue Rechte” überhaupt? Wie sieht das Netz nationalistischer Parteien innerhalb Europas aus? Wie steht die rechte Szene in der deutschen Politiklandschaft da?
Was ist die Neue Rechte?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert die Neue Rechte in Deutschland als „informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen […], in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen“. Wir haben es also auch innerhalb eines Landes nicht mit einer einzelnen Organisation oder Partei, sondern mit vielen Gruppierungen zu tun. Für das europaweite Netzwerk rechter Kräfte gilt das natürlich erst recht. Die Ziele der verschiedenen Parteien mögen einen rechtsnationalen oder -extremen Kern gemeinsam haben, die Programme sind aber alles andere als leicht vereinbar. Dass sich die Rechten im Europäischen Parlament deutlich schwerer als die Linken getan haben, eine Fraktion zu bilden, ist kein Zufall.
Wie die Forschung mit dem Begriff der “Neuen Rechten” umgeht, erläutert die Bundeszentrale für politische Bildung: „’Neue Rechte’ steht für eine Intellektuellengruppe, die sich hauptsächlich auf das Gedankengut der Konservativen Revolution der Weimarer Republik stützt, eher ein Netzwerk ohne feste Organisationsstrukturen darstellt und mit einer ‘Kulturrevolution von rechts’ einen grundlegenden politischen Wandel vorantreiben will.“ Und diese ‘Konservative Revolution’ hatte seinerzeit eine klare Stoßrichtung: gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Die Rechten, die sich heute wieder (oder noch) an diesem Gedankengut orientiert, nutzen Schlagwörter wie „Kampf um die Köpfe“, „Kulturrevolution von rechts“ und „Metapolitik“ – und geben sich so einen intellektuellen Anstrich. Die Neue Rechte beruft sich nicht auf den Nationalsozialismus, sondern strebt Verbindungen zu konservativen Kreisen an. Kurzum: Man schlägt moderatere Töne an und bemüht sich um ein gemäßigteres Erscheinungsbild, um Wähler in der Breite der Gesellschaft zu erreichen.
Der Einfluss der Neuen Rechten in den Parlamenten
„Anders als Neonazis alter Schule ist für die Neue Rechte das Dritte Reich kein Sehnsuchtsort mehr”, bestätigt auch Jakob Springfeld, Buchautor und linker Aktivist aus Sachsen den Wandel der rechten Szene. “Sie leugnen auch den Holocaust nicht. Sie preisen vielmehr die vielen Hundert Jahre deutscher Geschichte und Kultur, die vor dem Zweiten Weltkrieg lagen. Sie sehen sich als eine Vertretung einer ‘christlich-jüdischen abendländischen Tradition’.” Ein zentraler Begriff sei in diesem Zusammenhang ‘Ethnopluralismus’: jedes Volk, jede Kultur habe demnach einen klaren Wohnraum. Was nichts anderes bedeutet als: “Migranten sind unerwünscht.”
Die Narrative der Neuen Rechten sind nicht nur in Italien oder Ungarn in den Parlamenten zu hören. Der Einfluss der Bewegung reicht auch hierzulande weit bis in die Politik und damit in die Parlamente. Die AfD ist ein fest integrierter Teil der Neuen Rechten. Alexander Gaulands Aussage über den Nationalsozialismus als “Vogelschiss” in der 1.000-jährigen deutschen Geschichte passt nicht zufällig genau zur Rhetorik der Bewegung.
Springfeld führt in seinem Buch UNTER NAZIS näher aus, wie die ideologische Basis der Neuen Rechten aussieht: “Es sagt viel über die Bewegung aus, dass weitere prägende Schriften der Bewegung vom Pressereferenten von Hitlers Propaganda-Minister, Joseph Goebbels, verfasst wurden: Wilfried von Oven, der einem Bericht der ‘Süddeutschen Zeitung’ zufolge gar zwischenzeitlich aus der NSDAP ausgetreten ist, weil ihm diese ‘nicht radikal genug’ gewesen ist. Jener Oven veröffentlichte in seiner Zeitschrift ‘La Plata Ruf’ mit Blick auf die entstehende Neue Rechte 1973 den Satz: ‘Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, dass sie nicht mehr ins Klischee des ›Ewiggestrigen‹ passen (…). Der Sinn der Aussage muss freilich der gleiche bleiben.’ Es geht der Bewegung also darum, sich vom Stigma der Ewiggestrigen zu befreien, um sich durch gezielte Angriffe auf das Establishment dann in eine Position zu bringen, in der die Wiedereinführung des Ewiggestrigen wieder möglich wird.“
Neonazis, Rechtsextreme, Populisten
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird die Bezeichnung „die Neue Rechte“ nicht immer so scharf abgegrenzt genutzt. Mitunter wirkt sie wie ein Sammelbegriff für alles, was extrem rechts ist. Doch was ist bereits rechtsextrem, was noch populistisch und was fällt unter die Rubrik „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“?
Rechtsextremismus
Rechtsextremisten lehnen unsere freiheitliche demokratische Ordnung ab. Sie wollen laut bpb „− auch unter Anwendung von Gewalt − ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden sollen. Das rechtsextreme Weltbild ist gekennzeichnet durch Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, völkische Ideologie, Antisemitismus, Geschichtsklitterung, einhergehend mit der Verherrlichung des NS-Regimes und Relativierung bis zur Leugnung des Holocaust, Diffamierung und Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen.“
Neonazismus
Im Gegensatz zur Neuen Rechten orientieren sich die Neonazisten nicht an der konservativen Revolution, sondern am Nationalsozialismus. Die Neonazi-Szene sehnt sich nach einer Staatsform nach dem Führer-Prinzip und verherrlicht das Dritte Reich. Historische Fakten werden umgedeutet oder auch geleugnet, um die Herrschaft der Nationalsozialisten als Ideal zu propagieren. Parteien wie “Der III. Weg” oder “Die Rechte” vertreten in Deutschland diese Strömung.
(Rechts-)Populismus
Die Rhetorik von Populisten baut stark auf den Gegensatz zwischen “denen da oben” und “den normalen Bürgern”: es gelte, einer korrupten Elite die Macht zu entziehen, so dass das Volk endlich wieder dessen Souveränität zurückerlangen könne. Populisten bedienen sich im Allgemeinen einer schlichten, plakativen Sprache, bieten Feindbilder, einfache Lösungen und Sündenböcke. Sie nehmen für sich in Anspruch, “Klartext” zu reden, vermeintliche unangenehme Wahrheiten auszusprechen, anzuprangern und “denen da oben” so die Stirn zu bieten – “das wird man jawohl noch sagen dürfen!”
Das Netzwerk rechter Parteien in Europa
Unter den rechten Parteien in Europa finden sich rechtsextreme, rechtsnationale und rechtspopulistische Organe.
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
Ideologisch ist die NPD eindeutig rechtsextremistisch bis neonazistisch ausgerichtet. Sie versucht, die Szene zu vernetzen. Außerdem übt sie den Schulterschluss mit Neonazis: Bereits mehrfach haben bekannte Neonazi-Vertreter hohe Parteiämter besetzt; der „Völkische Flügel“ der NPD versucht, „parteifreie Kräfte“ zu integrieren – ein anderer Begriff für Neonazis.
Rassemblement National (früher: Front National) in Frankreich
Die Partei ist zunehmend im Parlament etabliert. Bei den Parlamentswahlen 2022 holte RN 18,68 Prozent der Stimmen, 15 Jahre zuvor hatte die Partei mit 4,29 Prozent den Einzug ins Parlament verpasst.
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)
Rechtsextreme Vorfälle innerhalb der Partei sind umfangreich dokumentiert, so setzte sich die Partei in der Vergangenheit mehrmals dafür ein, Urteile gegen NS-Verbrecher aufzuheben.
JOBBIK in Ungarn
Die Partei gilt als antisemitisch und antiziganistisch. In den vergangenen Jahren gibt es Bestrebungen, sich einer weniger drastischen Rhetorik zu bedienen, um wählbarer in der Breite der Bevölkerung zu sein.
Goldene Morgenröte in Griechenland
Die Parteiführung wurde 2020 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Nach dem Vorbild der Goldenen Morgenröte gründeten 2013 einige Jobbik-Mitglieder die Ungarische Morgenröte – die Jobbik-Partei war ihnen nicht radikal genug.
Vlaams Belang in Belgien
Die Partei ist die Nachfolgeorganisation von Vlaams Block – man sah sich gezwungen, die Partei aufzulösen und unter anderem Namen neu zu gründen, um nicht verboten zu werden.
Rechte Parteien im Europa-Parlament
Im EU-Parlament sind rechte Parteien in der Fraktion “Identität und Demokratie” organisiert. Die Fraktion widersetzt sich nach eigenen Angaben “dem derzeitigen Trend hin zu einem zentralistisch geführten EU-Superstaat”. Es gehe den Abgeordneten darum, das “Immigrationsproblem wieder unter Kontrolle” zu bringen und die Nationalstaatlichkeit zu stärken. Mitgliedsparteien der Fraktion sind die Alternative für Deutschland (AfD), Rassemblement National, Vlaams Belang, die Dansk Folkeparti, die Eesti Konservatiivne Rahvaerakond, Wahre Finnen, die italienische Lega, die Partij voor de Vrijheid und das Forum voor Democratie aus den Niederlanden, sowie die tchechische Partei Freiheit und direkte Demokratie.
Alain de Benoist, ein wichtiger Vordenker der Neuen Rechten, formulierte es einst so: „Die alte Rechte ist tot – sie hat es wohl verdient“. Die Neue Rechte scheint allerdings lebendiger denn je zu sein.
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