

Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa bei einem Gerichtstermin. © Maria Ressa: „How to Stand up to a Dictator“
Die Journalistin Maria Ressa legt sich mit mächtigen Gegnern an. Ihr größter Feind: moderne Propaganda, die sich vor allem in den Sozialen Netzwerken abspielt. Diktatoren machen sich längst die Mechanismen und Logiken von Facebook & Co zunutze, um gezielt Desinformation zu verbreiten. Mithilfe Sozialer Netzwerke gelingt es ihnen immer wieder, Informationen aus der kollektiven Erinnerung regelrecht verschwinden zu lassen. Statt dessen platzieren sie nachhaltig Fake Facts, Verschwörungserzählungen und andere Botschaften. Moderne Propaganda gelangt heute also viel subtiler und manchmal gänzlich unerkannt an die Adressaten. Die Friedensnobelpreisträgerin Ressa hat sich dem Kampf gegen diese Machenschaften mit aller Energie verschrieben und veröffentlicht dieser Tage ein Buch, um uns alle gegen Desinformation zu wappnen.
Desinformation in Sozialen Medien
Maria Ressa kennt die Mechanismen moderner Propaganda auch deshalb so gut, weil sie selbst vielfach Opfer perfider Desinformationskampagnen war. Auf den Philippinen, wo Ressa aufwuchs, sind die Bedingungen für solche Kampagnen außerdem nahezu optimal: In kaum einem Land sind so viele Menschen in Sozialen Netzwerken aktiv, beinahe 97 Prozent der Bürgerinnen und Bürger waren es nach Angaben von Ressa im Jahr 2017.
Aber auch hierzulande kommt kaum ein Handy ohne Instagram, Facebook & Co. aus: Soziale Netzwerke durchdringen viele Bereiche unseres Lebens und gehören für hunderte Millionen Menschen zum Alltag. Nirgendwo gelingt es daher wohl leichter als auf dem eigenen Screen, umstrittene Botschaften an die Frau oder den Mann zu bringen – oft getarnt als Empfehlung von Freunden oder besonders populäre Beiträge.
Eine der schwerwiegendsten modernen Propaganda-Kampagnen fand erst vor kurzem ihren Höhepunkt im Wahlsieg des umstrittenen philippinischen Präsidentschaftskandidaten Ferdinand Marcos jr. Dessen Vater, der Diktator Ferdinand Marcos, blieb 21 Jahre lang an der Macht und wurde beschuldigt, das Land um 10 Milliarden Dollar betrogen zu haben. In den sozialen Medien wurde in den Monaten und Jahren vor der Wahl aufwendig versucht, das Vermächtnis und den Familiennamen von Marcos reinzuwaschen – offenbar mit Erfolg. Marcos gewann die Wahl mit souveräner Führung.
Aktuelle Beispiele in der westlichen Welt
Doch wir brauchen gar nicht nach Fernost zu blicken – diese Art der Propaganda ist längst in der westlichen Welt angekommen. Eines der prominentesten Beispiele für Manipulation von Meinung im Netz dürfte Donald Trumps Wahlkampf sein. Ressa berichtet, dass die meisten Facebook-Likes von Donald Trump außerhalb der Vereinigten Staaten geklickt wurden und dass einer von 27 Trump-Followern auf den Philippinen lebt.
Der Krieg gegen die Ukraine bildet den Hintergrund für ein weiteres Beispiel moderner Propaganda über Social Media: Als Russland im Februar die Ukraine überfiel, flankierte das Regime den Einmarsch mit denselben Techniken und Metanarrativen, die schon bei der Annexion der Krim erprobt waren. Die Invasoren unterdrückten Information und ersetzten sie durch Lügen – vor allem auf digitalem Wege. Die Desinformationskampagne war zumindest in Russland ein wirkungsvoll und trug dazu bei, Diskussionen oder gegensätzliche Meinungen schon im Ansatz zu unterdrücken. Wir erinnern uns an russische Soldaten, denen erst an der Front klar wurde, dass Putin sie in einen Krieg geschickt hatte. Auch das Bild von einer ukrainischen Regierung, die vermeintlich von Nazis durchsetzt sei, geistert in Russland noch immer durchs Netz.
Der Kampf gegen Desinformation
Gibt es überhaupt noch einen Weg, Desinformationskampagnen rechtzeitig zu erkennen, zu enttarnen und zu stoppen? Zuallererst müssen wir genau verstehen lernen, welche Prozesse im Hintergrund ablaufen und wie Kampagnen konkret funktionieren, so die prämierte CNN-Reporterin Maria Ressa. Ihre jahrzehntelangen Recherchen und Erfahrungen mit moderner Propaganda, Desinformationskampagnen und Wahlmanipulationen machen sie zu der Expertin für das Thema. In ihrem aktuellen Buch „How to Stand Up to a Dictator“ beschreibt sie anschaulich, wie Geschichte vor unseren Augen umgeschrieben wird und wie genau Machthaber im Netz manipulieren, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Die Journalistin erklärt auch, warum sie es für so wichtig hält, der Propaganda im Netz die Stirn zu bieten: „Ich wurde in Südostasien Augenzeugin dramatischer Ereignisse, die oft Vorboten dessen waren, was später auf der ganzen Welt passierte: aufkommende demokratische Bewegungen in ehemaligen kolonialen Außenposten, der erschreckende Aufstieg des islamischen Terrorismus lange vor dem 11. September 2001, eine neue Klasse demokratisch gewählter Machthaber, die ihre Länder in Quasi-Diktaturen umwandelten, und das verblüffende Versprechen und die Macht der sozialen Medien“, so Ressa in „How to Stand up to a Dictator“.
„Demokratie ist zerbrechlich“
Ressa ist seit jeher eine Kämpferin für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und auch für die Arbeit am Buch war das ihre wichtigste Motivation: „Dieses Buch ist mein Ansatz, Ihnen zu zeigen, wie verheerend das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit in der virtuellen Welt ist.“ Ressa warnt klar und deutlich: „Was ich in den letzten zehn Jahren beobachtet und dokumentiert habe, ist der Aufstieg einer fast gottgleichen Macht der Technologie, die ermöglicht, dass ein Lügenvirus jeden von uns infiziert, uns gegeneinander ausspielt, Ängste, Wut und Hass schürt und den Aufstieg autoritärer Machthaber und Diktatoren in aller Welt beschleunigt. Ich nannte es den »Tod der Demokratie durch tausend Schnitte«.“ Und dann findet sie deutliche Worte, die klar machen, dass demokratische Werte Menschen brauchen, die sie verteidigen: „Demokratie ist zerbrechlich. Man muss um jedes bisschen kämpfen, um jedes Gesetz, jeden Schutzmechanismus, jede Institution, jede Geschichte. Man sollte nicht aus den Augen verlieren, wie gefährlich selbst die kleinste Verletzung sein kann. Deshalb sage ich zu uns allen: Wir müssen standhaft bleiben. Das ist es, was viele Bewohner der westlichen Welt, denen die Demokratie als gegeben erscheint, von uns, von den Philippinen, lernen müssen. Dieses Buch richtet sich an alle, die Demokratie für etwas Selbstverständliches halten, geschrieben von jemandem, der dies niemals tun würde.“
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