

Die Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga. © Imago
Die Aktivistin und Autorin Tsitsi Dangarembga setzt sich seit Jahrzehnten für Demokratie und Meinungsfreiheit in ihrer Heimat Simbabwe ein und muss sich deswegen immer wieder vor Gericht verantworten. PEN Deutschland begleitet den aktuellen Schauprozess gegen Dangarembga; Vize-Präsidentin Cornelia Zetzsche beobachtet das Verfahren vor Ort. Hier schreibt sie exklusiv darüber, wie Friedenspreisträgerin Dangarembga und ihre Kolleg:innen für friedlichen Protest kriminalisiert und bedroht werden und wie wichtig es ist, entschlossen an ihrer Seite zu stehen.
Von Rechtsstaat keine Spur in Simbabwe
Als erstes fällt ihre Stimme auf: dieses dunkle Timbre, die ruhige, analytische Rede, fast zeitlupenartig wie ihre Bewegungen, diese sanfte Unbeugsamkeit, mit der sie jedem Druck standhält; auch am 4. August 2022. Ich war zur Prozessbeobachtung geflogen, um Augenzeugin zu sein; Internationale Öffentlichkeit ist ein wichtiges Instrument im PEN bei unserer Arbeit für verfolgte Autor:innen, auch bei dieser Verhandlung am Magistrate Court in Harare, einem von über 30 Prozessterminen. Das Urteil wurde vertagt, aber schon das Setting war beredt: Die Richterin, die erstmal eine Stunde gesucht wurde, als sei der Termin pure Nebensache; eine Geste der Macht, Zeit als Druckmittel gegen die Angeklagte und ihren Anwalt; Gerüchte im Wandelgang, jeder vierte hier sei ein Spitzel; Bräute am Standesamt in pompösem Weiß, nicht ahnend, dass ein paar Türen weiter eine Schriftstellerin für sie alle, für ihr Land um das für freie Wort kämpft. Denn darum geht es: Um ein besseres Simbabwe.
„For a better Zimbabwe“ und „Free Our Journalists“ stand auf den Sandwich-Plakaten, die Tsitsi Dangarembga, Julie Barnes und dreizehn andere durch Harares Straßen trugen, in verschiedenen Vierteln, in großem Abstand, mit Mundschutz, während rigide Corona-Regeln jedes öffentliche Leben verboten, Regeln als Mittel der Repression. Ihre zwei Schilder genügten für eine Nacht im Gefängnis, beengt mit Vielen trotz Corona, ohne Essen, ohne Wasser, nur ein Hydrant für alle, keine Decken gegen die Kälte. Als sich herumsprach, dass sie gerade für den Booker Prize nominiert worden war, ließ man Tsitsi Dangarembga anderntags frei. Aber es war der Auftakt zu diesem Schauprozess über zwei Jahre, mit drei Richter:innen und einem Urteil von sechs Jahren auf Bewährung plus Geldstrafe. Das alles vor dem „Antikorruptionsgericht“, das direkt dem Präsidentenbüro untersteht. Ob sie sich dem „Befehl“ des Präsidenten widersetzen wollte, wurde sie vor Gericht gefragt, als ob eine Bürgerin einem Präsidentenbefehl gehorchen müsse. Von unabhängiger Justiz und Rechtsstaat keine Spur im Simbabwe Präsident Emmerson Mnangagwas, der seit Mugabes Sturz erbarmungslos herrscht und seine Gegner ausschaltet, erst recht vor den Wahlen diesen Sommer.


Der Schauprozess gegen Tsitsi Dangarembga in Simbabwe
„Was Dangarembga in den Augen des Regimes so gefährlich macht, ist nicht (nur) ihre Literatur“, so die Einschätzung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Harare, die ebenfalls zu den Beobachter:innen des Gerichtsverfahrens gehört: „Es ist ihr engagiertes Eintreten für Demokratie und Frieden, für Freiheit und Menschenrechte, das die Autorin ins Fadenkreuz der simbabwischen Strafverfolgung geraten lässt.“ Bei der Stiftung rechnet man nicht damit, dass der Schauprozess in absehbarer Zeit zum Ende kommt.
Für ihren friedlichen Einsatz für die Meinungsfreiheit drohen Dangarembga mehrere Jahre Haft, ein Haftbefehl ist bereits erlassen worden, während sie 2022 in Europa war – und trotzdem ist sie nach Simbabwe zurückgekehrt. Statt zum Beispiel bei ihren Kindern in Deutschland Zuflucht zu suchen nutzt sie ihre Bekanntheit, um die internationale Aufmerksamkeit auf die Zustände in Simbabwe zu lenken. „Es ist fundamental wichtig, sich mit friedlichen Mitteln zu engagieren, damit sich das Los der Menschen in Simbabwe verbessert“, zitiert das Schweizer Radio Dangarembga. „Als Schriftstellerin ist dies meine Aufgabe.“
Menschenrechtsverletzungen sind nicht nur ein Problem in Diktaturen
Immer schärfere Gesetze, Einschüchterung und physische, psychische, finanzielle Zermürbung sind Mnangagwas Taktik. Symptomatisch sind die Fälle von Hopewell Chin’ono, dem Investigativ- Journalisten und Dokumentarfilmer der BBC, der Korruption in der Zanu-PF aufdeckte und die Arbeit der Menschenrechts- und Staranwältin Beatrice Mtetwa dokumentierte. Er wurde verhaftet, sein Equipment monatelang beschlagnahmt. Haft gab es für den bekannten Parlamentarier und Anwalt Job Sikhale, der eine angebliche Eifersuchtstat als politischen Mord publik machte, angesichts der zerstückelten Leiche einer Oppositionspolitikerin. Und der Dichter Collen Kajokoto ist gezeichnet von sieben Jahren Gefängnis und Folter. Jetzt fand er Zuflucht im Writers in Exile-Programm des deutschen PEN.
Ein Witz geht so: Es gibt Meinungsfreiheit in Simbabwe vor der Meinungsäußerung, es gibt keine Meinungsfreiheit nach der Meinungsäußerung. Dabei ist die freie Meinung in der Verfassung des Landes als Grundrecht verankert und ohnehin ein Menschenrecht, also unveräußerlich. Ein universales Menschenrecht, hier bei uns viel zu selbstverständlich. Rasch verspielt in der Türkei, in Ungarn und Polen, lebensgefährlich in Russland, Myanmar, China und Iran. Aber Menschenrechtsverletzungen sind nicht nur ein Problem in Diktaturen, denken wir an Julian Assange, den Wikileaks-Gründer, der Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und Irak enthüllte und seit über zehn Jahren von den USA als Staatsfeind gejagt wird. Ein unglaublicher Polit- und Justizskandal. Auch das verteidigen wir im PEN: das Recht auf Information weltweit, gerade auch iranische Schriftsteller:innen wie Atefeh Chaharmahalian, die für das freie Wort eintreten, Grundlage jeder Demokratie.
Die Anklagepunkte der Diktatoren gegen Kritiker sind immer ähnlich von Iran bis Simbabwe: Landfriedensbruch, Anstiftung der Öffentlichkeit, Beleidigung der Autoritäten sind Standards. Und Tsitsi Dangarembga weiß: Strukturen des Unrechts in Afrika wurzeln im Kolonialismus, im Rassismus und im Patriarchat, das die Frauen zum Schweigen bringt. Tsitsi Dangarembga gibt ihnen eine Stimme; dreht Filme, schreibt Romane als Aufklärung, als ersten Schritt zur Emanzipation, als Beitrag zum Aufbau einer Zivilgesellschaft in Simbabwe, wo 90 % der Menschen arbeitslos sind, während sich die Eliten selbst bedienen.
Eine starke Stimme, unbeugsam und eigenwillig
Mutig wehrt sich Tsitsi Dangarembag dagegen, für ihren friedlichen Protest kriminalisiert zu werden. Derzeit läuft ihr Berufungsverfahren. Und sie hat Glück, wird unterstützt von ihrem Mann, von ihrem engagierten Anwalt Chris Mhike und den Zimbabwe Lawyers for Human Rights (ZLHR), und das deutsche PEN-Zentrum sammelte für die Prozesskosten: Über 15000 € in nur acht Tagen kamen an Spenden zusammen. Großer Dank an alle, die sich beteiligt haben! Nur so ist unsere Arbeit möglich.
Tsitsi Dangarembgas neue Essays zeigen, warum sie ist, wie sie ist: Frau und Schwarz, unbeugsam und eigenwillig. Mit scharfem Verstand, psychologischem Gespür, Poesie und profundem historischen Wissen um die Kontinuitäten des Kolonialismus im postkolonialen Afrika beschreibt sie in ihren Büchern Genderkonflikte, Rassismus, Machtgier, Korruption und die Hoffnung auf Selbstbestimmung und Glück. Frauen wie Tambudzai, die Heldin ihrer Romantrilogie, gehen den schmerzhaften Weg der Erkenntnis. Tsitsi Dangarembgas Essays legen nun die autobiographischen Wurzeln ihrer Motive und virtuosen Erzählkunst frei: die Geburt im damaligen Rhodesien mit dem System der Rassentrennung, das seelische Gepäck als Frau, die tiefe Wunde aller, die als „schwarz klassifiziert“ und abgewertet werden und die Hoffnung, das Schreiben könne diese Wunde heilen. Ein sanfter Ton, eine starke Stimme aus Afrika. Atemraubend!
Cornelia Zetzsche, Vize-Präsidentin PEN Deutschland
„Der Vorwurf gegen Tsitsi Dangarembga ist absurd. Sie hat nur ein Plakat mit dem allgemeinen Aufruf zu Reformen in Simbabwe getragen. Ein Plakat für ein besseres Simbabwe ist eine freie Meinungsäußerung, die auch von der simbabwischen Verfassung und der afrikanischen Human Rights Convention gedeckt ist. In keinem Rechtsstaat der Welt hätte es deswegen einen Strafprozess gegeben. Eine Verurteilung wäre bizarr.
Dangarembga ist eine friedliche Kritikerin des autokratischen Unterdrückungssystems Simbabwes. Sie ist einer der wichtigsten intellektuellen Stimmen Afrikas in der Welt.„
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehem. Bundesjustizministerin und Prozessbeobachterin für die Friedrich-Ebert-Stiftung
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