Flagge von Simbabwe

Journalistin und Aktivistin Gulchehra Hoja. © Dana Khakijev und Roxana Pop

Die preisgekrönte uigurische Journalistin macht von Washington aus seit Jahren die systematische Auslöschung ihres Volks publik – und bezahlt dafür einen hohen Preis: Chinas Machthaber versagen Gulchehra Hoja eine Heimkehr nach Xinjiang und internieren ihre gesamte Familie. Das Porträt einer unbeugsamen Frau.

„Sie hat die Stimmen der vielen zum Schweigen gebrachten uigurischen Journalisten in Ostturkestan wieder zum Leben erweckt“, schildert Dolkun Isa, Präsident des Weltkongress der Uiguren in München, Hojas großen Verdienst. Ostturkestan – so nennen die Uiguren selbst ihr Land, in dem sie seit Jahrtausenden leben. Die offizielle chinesische Sprachregelung nennt es das Uigurische Autonome Gebiet Xinijang.

Von „Autonomie“ kann in Xinijang jedoch nicht die Rede sein. Die Uiguren werden in ihrer Heimat nahezu lückenlos überwacht und bei kleinsten Anlässen schlimmsten Repressalien ausgesetzt. Gulchehra Hoja hat den schleichenden Prozess von relativer Freiheit zu immer stärkerer Unterdrückung miterlebt. Nach einer unbeschwerten Kindheit in den 1970ern ändern sich in den 1980ern die Zustände in ihrer Heimatstadt Ürümchi spürbar. Immer mehr hinzuziehende Han-Chinesen drängen die Uiguren in unbeliebte Randbezirke, alte Architektur weicht chinesischen Neubauten.

Wendepunkt im Leben von Gulchehra Hoja

Als junge Studentin erfährt Gulchehra Hoja Benachteiligungen wegen ihrer uigurischen Herkunft, mit denen sie sich manchmal nur schwer arrangieren kann. Und dann: „In meinem dritten Studienjahr geschah etwas, das meine relative Unschuld zerstörte, eine tiefe Narbe bei mir hinterließ und Vorbote für Schlimmeres sein sollte.“ So erzählt es Gulchehra Hoja in ihrem Buch Der Duft von Steinen.

Ihr jüngerer Bruder Kaisar kam wegen eines Eigentumsdelikts in Haft. Wie bei Strafprozessen mit Uiguren üblich legt man ihm auch Verbrechen zur Last, die er gar nicht begangen hat – insgesamt 300 Stück. Nur mit allergrößter Mühe gelingt es der Familie, alle fingierten Tatvorwürfe zu entlarven. Das rettet Kaisar vor der Todesstrafe, erspart ihm aber nicht eine lange Haft. Trotz dieser Ereignisse und den großen Sorgen um den Bruder gelingt Gulchehra der Universitätsabschluss und sie ergattert eine Stelle bei Xinjiang TV.

Gulchehra Hoja mit ihrem Bruder. © Gulchehra Hoja

Beginn einer schwierigen Karriere als Journalistin

Mit dem unbedingten Willen, die uigurische Sprache und Kultur zu bewahren, sowie einem ausgeprägten Verhandlungsgeschick, sichert sie sich eine eigene Sendung: für Kinder auf Uigurisch. Unterdessen verschärfen sich in den 1990er Jahren die Konflikte zwischen Uiguren und Han-Chinesen. „Inmitten dieses Klimas zunehmender Feindseligkeit betrachtete ich mein Kinderprogramm als einen kleinen Beitrag zu unserem Bemühen, die uigurische Kultur und ihre uralten Traditionen hochzuhalten“, so Gulchehra Hoja. „Weil es sich an Kinder wandte, konnte ich immer irgendwie unter dem Radar fliegen. Und da ich selbst noch so jung war, keine fünfundzwanzig, war ich mir auch der Gefahren, die ich damit einging, nicht so bewusst.“

Um die Jahrtausendwende bestimmt die Regierung, dass auch uigurische Sendungen ab sofort auf Chinesisch zu erscheinen haben. Kontrollen vor der Ausstrahlung verhindern zudem ungewünschte Inhalte. Nach Aufständen von Uiguren greifen die Machthaber noch stärker durch: „Meine Skripts wurden drastisch bearbeitet, um chinesische Regierungsmaßnahmen im bestmöglichen Licht darzustellen, das Leiden der Uiguren hingegen kehrte man unter den Teppich“, schreibt Hoja in Der Duft von Steinen. „Wir unterlagen immer strikterer Zensur, bis ich irgendwann selbst nicht mehr viel von dem glaubte, was ich da von mir gab.“

Die ganze Wahrheit

Welch schreckliche Ausmaße die Unterdrückung der Uiguren tatsächlich angenommen hat, erfährt Gulchehra Hoja erst bei einem Aufenthalt in Europa. Freies Internet und uigurische Nachrichten auf Radio Free Asia (RFA) öffnen ihr die Augen. Sie hört Berichte über Folterungen und Hinrichtungen, liest über die Unabhängigkeitsbewegung in Ostturkestan. Hojas bitteres Fazit: „Die chinesische Regierung wollte die uigurische Kultur systematisch zerstören, und mit ihr jeden, der sich dieser Unterdrückung zu widersetzen versuchte.“

Um ihrem Volk zu helfen, sieht Gulchehra Hoja nur eine Möglichkeit: selbst beim RFA in den USA zu arbeiten und alle Verbrechen an den Uiguren publik zu machen. Sie zieht nach Washington, lernt mühselig Englisch und veröffentlicht Berichte über uigurische Einzelschicksale.

Für Hojas Familie in Xinijang bedeutet dies weitere Repressalien. Mit den Attentaten vom 11. September 2001 verschärft sich die Gesamtsituation. Unter dem Vorwand, „muslimische Terroristen“ zu bekämpfen, drangsaliert Peking die Bevölkerung und richtet einige uigurische Aktivisten hin. Als Gulchehra Hoja aus religiöser Überzeugung beginnt, einen Hidschab zu tragen, stuft Peking sie als „Extremistin“ ein.

Gulchehra Hoja als Mahnerin für ihr Volk

Die Drangsalierung ihrer Familie findet 2018 einen brutalen Höhepunkt: 25 Familienmitglieder kommen in Haft. Doch Gulchehra Hoja gibt auch jetzt nicht auf. Zur Verleihung des Magnitsky Human Rights Award 2019 hält sie eine flammende Rede. Sie berichtet über chinesische Konzentrationslager und Massenüberwachung, fordert die freie Welt zum Handeln auf.

Für Dolkun Isa ist sie wegen dieses unerschrockenen Engagements „das beste Beispiel dafür, wie Mut aussieht“. Gulchehra Hoja, die 2020 auch den Courage in Journalism Award der International Women’s Media erhielt, musste deshalb viel Leid erdulden. „Trotzdem hat sie ihre Arbeit als Journalistin fortgesetzt und die grausamen Verbrechen aufgedeckt, die die chinesische Regierung an ihrem Volk verübt.“

Gulchehra Hoja vermutet, dass ihre Angehörigen inzwischen wieder zu Hause leben. Doch nachforschen darf sie nicht. Selbst ein einziges Telefonat könnte alle wieder in Gefahr bringen. Umso vehementer setzt sie den Kampf für ihr Volk fort. Im Interview mit vorangedacht sagt sie:

„Eines Tages werde ich verkünden können, dass Ostturkestan jetzt frei ist. Allein der Gedanke an diesen Moment gibt mir Kraft. Freiheit ist Leben. Ich wünsche mir, dass jeder frei leben kann.“

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