

Für Jakob Springfeld bedeutet Antifaschismus auch Klimaschutz. © Calvin Thomas
Ich bin linker Aktivist aus Zwickau – mit der Bedrohung von Rechts sind wir aufgewachsen. Wenn ich aber an die sich zuspitzende Klimakatastrophe denke, wächst in mir aber eine noch größere Angst. NeoNazis und Verschwörungsideolog*innen werden versuchen Ängste zu säen und in rassistischen Hass und einen neuen Nationalismus zu kanalisieren.
Vor wenigen Tagen bin ich mit meinen Freund*innen zur Großdemonstration nach Lützerath gefahren. Neben einer beinahe utopischen Übernachtung, in von unten organisierten, solidarischen Zeltcamps, bleiben mir die Bilder von riesigen Kohlebaggern, lauten Sirenen und einem Schienbeintritt eines Polizisten im Kopf. Wenn ich an Lützerath denke, dann denke ich an junge Menschen, denen das 1,5 Grad-Ziel, das ohnehin schon ein Kompromiss ist, schlicht wichtiger ist als der Profit eines Energiekonzerns wie RWE.
Was hat Fremdenhass mit dem Klima zu tun? Eine ganze Menge
Parallel dazu demonstrieren beispielsweise in Zwickau weiterhin die Extrem-Rechten. Sie machen in diesen Tagen wieder rassistische Stimmung gegen Geflüchtete. Im sächsischen Laußig äußerte ein Bürgermeister dafür sogar noch Verständnis und stimmte der ablehnenden Haltung zu. Was hat das mit dem Klima zu tun? Eine ganze Menge, denn wie wird es einmal werden, wenn noch mehr Klimageflüchtete ankommen? Wie reagiert die Bevölkerung darauf, wenn Länder des Globalen Südens Reparationszahlungen fordern? Betrachtet man die kumulierten CO2-Emissionen, befinden wir uns unter den Top 10 derer Länder, die historisch am meisten CO2 ausgestoßen haben. Benachteiligte Länder haben also einen berechtigen Anspruch auf diese Zahlungen. Unser Wohlstand in Europa basiert auf der globalen Ungleichheit. Wir haben lange genug auf Kosten anderer Teile der Welt gelebt – es ist längst Zeit, Verantwortung zu übernehmen, in Lützerath wie in Zwickau, im Alltag und auf politischer Ebene. Es ist Zeit für Klimagerechtigkeit.
Würde sich die schweigende Mehrheit noch gegen die AfD stellen?
Diese Welt ist nicht gerecht, weder in Sachen Klima noch was die Verteilung von Macht und Geld angeht. Dass angesichts dessen inzwischen weite Teile der Bevölkerung antidemokratische Positionen vertreten, das merke ich auf meiner Lesereise immer wieder: Überall, ob im Erzgebirge, ob im Harz oder in anderen Teilen Ostdeutschlands berichten mir Demokrat*innen, Menschen die antifaschistisch eingestellt sind und das Herz am richtigen Fleck haben, davon, dass sie sich mit ihrer Haltung oft in der Minderheit fühlen. Sie berichten davon, dass sie nicht mehr daran glauben, dass die schweigende Mehrheit sich im Zweifel gegen AfD-Positionen stellen würde.
Was ich hier erzähle, sind meine persönlichen Eindrücke, das, was mir die Leute vor Ort erzählen. Und was sie erzählen, bereitet Grund zur Sorge:
Nach einer Lesung berichtete mir eine junge Frau, dass sie auf ihrer Schule Stress mit NeoNazis hat und angegriffen wird. Lehrer*innen aus der Zwickauer Region berichteten mir, dass sie an einer Oberschule mit ungefähr 25 NeoNazis zu tun hätten, die versuchen auch die jungen Schüler*innen zu agitieren. Ein linker Oberbürgermeisterkandidat berichtete mir, dass niemand mehr seine Pakete annimmt, seit er sich antifaschistisch positioniert. Hört man denen zu, die sich im ländlichen Raum überhaupt noch positionieren, hört man überall von denselben Problemen. Von denselben Ängsten.
Gute Begegnungen sind das Gegengift
Ein „Wir Demokrat*innen lassen uns nicht unterkriegen, wir haben keine Angst!“ ist leicht gesagt. Wird einem für seine Meinung der Reifen aufgeschlitzt, geht einem dieser Satz dann aber vielleicht nicht mehr so leicht von den Lippen. Dabei glaube ich daran oder möchte daran glauben, dass wir noch immer viel verändern können, denn auch von den motivierenden Momenten möchte ich, wenn es um meine Lesereise geht, berichten. Nur sie sind das, was Demokratie und meinen Glauben daran am Leben hält, das unverzichtbare Gegengift bei aufgeschlitzten Reifen oder Nazi-Gewalt.
In nahezu allen Orten, die ich mit meinem Buch im Gepäck in Zwickau, Glauchau, Magdeburg, Hoyerswerda, Annaberg-Buchholz, Altenburg, Halberstadt oder Grimma besuchte, kennen die Menschen die reale Gefahr, der sie durch das Engagement gegen Rechts ausgesetzt sind. Doch umso bewegender ist es, dass selbst in den politisch düstersten erzgebirgischen Orten, zum Beispiel in Annaberg-Buchholz, 30 Menschen zusammenkommen, die mit mir eben über genau diese Themen diskutieren.
Im Kampf für die Demokratie kommt es auf jeden von uns an
Ich traf auf eine alte Frau, die erzählte, dass ihr meine Ausführungen in Bezug auf die neue Gefahr, die von der extremen Rechten ausgeht, die Augen geöffnet hätten. Ich treffe überall Menschen, die mich verstehen, wenn sie nur lange genug zuhören. Auch wenn sie vorher noch gar nicht in der Materie gesteckt haben. Bei einer Lesung in Magdeburg fanden sich über 70 junge Menschen ein. Bei meiner Premierenlesung in Zwickau sogar über 120. In Halberstadt las ich vor ungefähr 8 Personen – im Kampf für Demokratie, Antifaschismus und Menschenrechte kommt es auf jeden Einzelnen von uns an und ich werde auch in diesem Jahr wieder überall hinfahren, wo es brennt.
Nach Plauen, Döbeln und Bautzen. Aber auch nach Dortmund, München und Nürnberg. Unsere Verantwortung steigt mit jeder globalen Krise, die die Gesamtsituation verschärft. Durch die verschärfende Klimakrise wird sich entscheiden, ob wir weiterhin demokratisch oder doch lieber protektionistisch, nationalistisch und mit dem Credo „Deutschland zuerst“ leben wollen. Ob wir uns für Solidarität oder Nationalismus entscheiden, ob wir endlich Verantwortung übernehmen und uns mit aller Kraft für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit einsetzen oder darauf bestehen, unsere westlichen Privilegien zu retten.
Wir lassen nicht locker
In Lützerath wurde der Hass, der Klimaaktivist*innen von allen möglichen Seiten der Gesellschaft entgegenschlägt, sichtbar. Dabei bleibt es legitim, wenn vielleicht auch nicht legal, sich mit Mitteln des zivilen Ungehorsams der illegitimen Verfeuerung unserer Lebensgrundlagen entgegenzustellen. Die Folgen der Klimakatastrophe treffen uns hier in Deutschland weniger als in anderen Teilen der Welt. Das wissen Rechte und versuchen deswegen, die globalen Ungerechtigkeiten aufrechtzuhalten. Wir hingegen haben verstanden, dass für’s Klima sein immer auch bedeutet, sich gegen Rechts zu stellen. Hoffentlich ist es in Teilen dieses Landes nicht schon zu spät. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich auf das zu fokussieren, was mir die letzten Monate auch gezeigt haben: Trotz Anfeindungen lassen die Demokrat*innen, die da sind, nicht locker.
Bleiben Sie also informiert und schließen Sie sich an! Informationen über Protest, Gegenprotest und die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland finden sie auf Twitter, Instagram und Facebook z.B. unter „Jakob Springfeld“. Ansonsten freue ich mich auch über Mails und/oder weitere Lesungsanfragen: jakob.springfeld@posteo.de
Jakob Springfeld, Autor von „UNTER NAZIS“


Der Zusammenhang zwischen Klimaungerechtigkeit und Rassismus
Forschungen legen nahe, dass es eine sehr große Schnittmenge von Leugnern der Klimakatastrophe und Rechten gibt. Und das ist bei näherer Betrachtung tatsächlich keineswegs verwunderlich: Rassisten profitierten und profitieren immer wieder von einfachen Erklärungsmustern, die die Verantwortung für Krisen und Probleme auf bestimmte – und vor allem andere, fremde – Gruppen von Menschen abschieben. Der Kolonialismus, Sklavenhandel und die systematische Ausbeutung Afrikas durch Europa bieten heute das historische Fundament, um rechte Argumentationen zu konstruieren.
Der Ethnologe Dr. phil. Felix Riedel erklärt den Zusammenhang so: „Der historisch gewaltsam angeeignete gesellschaftliche Reichtum erzeugt Beraubungsängste – bei den Besitzenden. Das Schreckensbild von Millionen von Klimaflüchtlingen trägt zur Legitimation des Entzugs von Empathie bei. Der Empathieentzug der vergangenen Jahre ist typisch für die Vorbereitung von Makrogewalt. Dass sich weite Teile der Gesellschaft in pathologischer Ruhe verhalten, wenn massenhaft Menschen ertrinken, lässt sich durch die Attraktivität der Besitzstandswahrung erklären: ‚Wir können nicht allen helfen‘, ist die übergreifende Parole, die von PEGIDA, AFD bis hin zu Boris Palmer und Sahra Wagenknecht geteilt wird.“
Und die Rechten müssen nicht damit rechnen, dass den Globale Süden, der einerseits vergleichsweise wenig zum Klimawandel beigetragen hat, andererseits aber überdurchschnittlich unter ihm leidet und zu leiden haben wird, sich wirksam selbst zu seinem Recht verhilft, prognostiziert Riedel: „Auch wenn der Klimawandel sehr sicher große Fluchtbewegungen erzeugen wird: Von Dürren bedrohte afrikanische Kleinbauern hatten in der Vergangenheit nicht die Ressourcen, nach Norden zu fliehen. Sie werden zu Binnenflüchtlingen oder sterben ohne Aussicht auf Flucht.“
Was bedeutet Klimagerechtigkeit?
Der Begriff der Klimagerechtigkeit stellt den Aspekt der Verantwortung in den Vordergrund: Wer und was ist Verursacher des Klimawandels? Welche Länder oder Industrien sind verantwortlich für die größten Anteile des Ausstoßes von CO2? Hier ergibt sich ein starkes Ungleichgewicht zwischen den dem Globalen Norden und dem Globalen Süden: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung stieß laut BUND zwischen 1990 und 2015 doppelt so viel CO2 aus wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung insgesamt. Gleichzeitig gehören die zehn Länder, die heute schon am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden, ausschließlich zum Globalen Süden.
Wie geht es jetzt weiter in Lützerath?
Nachdem die Ortschaft Lützerath nun endgültig geräumt wurde (die ursprünglichen etwa 1200 Einwohner haben ihre Häuser bereits seit 2017 verlassen), wird der Energiekonzern das Tagebaugebiet Garzweiler weiter in westliche Richtung vorantreiben. Beim Braunkohleabbau wird das Erdreich bis zu einer Tiefe von etwa 400 Metern abgetragen, um an die Kohle zu kommen. Ob der weitere Abbau wesentlich für die Energieversorgung ist, dazu gibt es widersprüchliche Studien: Ein Studie von CoalTransitions stellt fest, dass der Bedarf an Braunkohle bis zum Ausstieg aus der Braunkohleförderung auch ohne die Kohle unter Lützerath gedeckt würde. Der Deutschlandfunk zitiert auch eine Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums NRW, die das Gegenteil besagt.
Was ist mit Makrogewalt gemeint?
Der Begriff Makrogewalt bezeichnet Gewalt, die sich unmittelbar auf ganze politische und gesellschaftliche Strukturen auswirken. Einfacher gesagt: Es geht um Gewalt zum Beispiel in Form eines Krieges oder eines Völkermords, oder auch um Bürgerkriege oder Rebellion. Makrogewalt bedeutet nicht, dass die Gewalt von Staaten ausgeht, Makrogewalt kann sich auch gegen Regierungen richten.
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