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Eine starke Geste des Protests? © Shutterstock

Gibt es vorsichtige Zivilcourage? Ist heldenhaft nicht immer auch mutig? Wahre Helden riskieren etwas, meistens sogar eine ganze Menge. In der aktuellen Zeit stehen wir alle ständig vor der Entscheidung: erst die Moral oder doch das Fressen? Das beginnt beim Horten von Klopapier und hört bei der Diskussion um den Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft noch lange nicht auf. Sind die europäischen Nationalspieler nun feige eingeknickt oder hätte womöglich jeder von uns genauso entschieden? Ist ein Flitzer mit Regenbogenflagge ein Spielverderber oder der Man of the Match? Trifft der Begriff „Klimaterroristen“ auf den Punkt oder spricht da vielleicht unser schlechtes Gewissen, weil wir keine Lust haben, auf Mallorca oder den Zweitwagen zu verzichten?

Was bedeutet Zivilcourage?

Das Wörterbuch definiert Zivilcourage als den „Mut, den jemand beweist, indem er humane und demokratische Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit, gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten o. Ä. vertritt“.

Ohne Rücksicht auf Verluste.

Dabei ist es prinzipiell wohl nachrangig, ob der Verlust darin besteht, sich für eine Weile das Klopapier besser einzuteilen oder beim Chef unbeliebt zu machen; ob man riskiert, wegen einer Armbinde das Länderspiel seines Lebens zu verpassen oder für einen Twitterpost gefoltert zu werden.

Zivilcourage per Definition

Im Wort „Zivilcourage“ stecken das lateinische Wort civilis für bürgerlich sowie das Wort courage für Mut. Der Begriff beschreibt den Einsatz für die eigenen Werte und Prinzipien trotz Widerstand, ungeachtet möglicher Folgen und oft entgegen der Mehrheitsmeinung.

Wie glaubwürdig ist Protest noch, wenn keine Folgen drohen?

Zivilcourage ist eine Frage der Grundeinstellung: Was sind uns unsere Werte wert? Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen, um unsere Prinzipien zu verteidigen? Maria Ressa, Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin, stellt sich diese Frage jeden Tag. Aufgrund ihres Kampfes gegen Fake News und Manipulation im Netz ist ihr Leben permanent bedroht. Seit mehreren Jahren verlässt sie das Haus deshalb nicht mehr ohne schusssichere Weste. Und dennoch lässt sie sich nicht einschüchtern. Wie glaubwürdig sind im Vergleich dazu Gesten und Solidaritätsbekundungen von Menschen, die sich vorher gegen mögliche Folgen abgesichert haben?

Heldinnen unserer Zeit

„Meine persönliche Heldin“ sagt Hillary Clinton über Maria Ressa – eine Frau, die unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens das Recht auf Informationsfreiheit verteidigt. Wir alle sind beeindruckt von der Iranerin Elnaz Rekabi, die das Finale der Asienklettermeisterschaften ohne Kopftuch bestritten hat – in dem Wissen, dass sie damit womöglich sogar mehr als ihre Karriere riskiert hat. Oder, um auf die Welt des Fußballs zurückzukommen: wir erinnern uns noch gut an Megan Rapinoe, die US-Nationalspielerin, die sich konsequent und prominent gegen Diskriminierung und Rassismus eingesetzt hat – unbeeindruckt von den Attacken Donald Trumps.

Die Freiheit braucht unsere Verteidigung

„Für mich ist ein Held jemand, der sich der Verantwortung bewusst ist, die mit seiner Freiheit einhergeht“, sagte einst Bob Dylan. Wir sind es, die diese Freiheit genießen: demokratische Wahlen, unabhängige Medien, freie Gerichte. Wir tragen unser Haar offen, feiern den CSD und wettern gegen die Regierung, ohne verhaftet zu werden. Doch Freiheitsrechte sind nicht selbstverständlich, sie brauchen unseren Schutz und Verteidigung. Und da kommt die Zivilcourage wieder ins Spiel: „Wo die Zivilcourage keine Heimstatt hat, reicht die Freiheit nicht weit“, wird Bundeskanzler Willy Brandt zitiert.

Im Vorwort zu ihrem Buch How to Stand up to a Dictator fragt Maria Ressa uns alle: „Was bist DU bereit für die Wahrheit zu riskieren?“ Nicht jeder oder jede wird mit derselben Entschlossenheit wie Ressa antworten: Mein Leben. Aber womöglich wäre es schon ein Anfang, wenn wir alle zumindest irgendeine Antwort auf diese Frage fänden.

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