

Das Missionshaus in Kommaggas 1854, im Vordergrund am Tisch sind Zara und Johann Schmelen dargestellt.
© Archiv- und Museumsstiftung der VEM
„Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, hatten sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.“ Das Zitat stammt von dem anglikanischen Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu aus Südafrika (Quelle: Migazin). Es drückt aus, wie eng unter anderem deutsche Missionare in Afrika und auch anderswo mit den Kolonialherren kooperierten und so den Boden für die Unterdrückung von Völkern bereitet haben.
Aufarbeitung deutscher Missionsarbeit
„Wenn es um die Aufarbeitung geht, die Kirchen heute leisten sollten, was ihre eigene Missionsgeschichte in der Kolonialzeit betrifft, dann würde ich sagen: Es gilt, auf die Konflikte und auf die Verletzungen zu blicken, auf die Ausgrenzungen und auf die rassistischen Grenzen, die Mission errichtet hat“, meint Richard Hölzl, Historiker an der Universität Göttingen, gegenüber dem Deutschlandfunk.
Die Aufarbeitung der Missionsarbeit ist überfällig – genauso wie die Aufarbeitung der politischen und wirtschaftlichen Seite von Kolonialisierung. „Das Selbstverständnis der Christen war, dass sie die richtige Religion haben und dass religiöse Konflikte darauf beruhen, dass man sich mit Leuten, die die falsche Religion haben, bekämpft oder diese bekämpft“, sagt Professorin Manuela Boatca, Soziologin an der Universität Freiburg (Quelle: Christ in der Gegenwart).
Sie blieben meistens da: Deutsche Missionare in Afrika
Die Ausreise in die Mission war dabei für viele eine Reise ohne Wiederkehr. Anders als Forscher und Entdecker, die durchreisten und wieder verschwanden, blieben deutsche Missionare in Afrika. Darum waren sie darauf angewiesen, die Sitten der „Eingeborenen“ zu studieren und die Heilige Schrift, die es zu verkünden galt, zu übersetzen.
Einen ebensolchen Weg beschritt der Urahn der Autorin Ursula Trüper: Johann Hinrich Schmelen wandert als Missionar nach Afrika aus. Wie im 18. Jahrhundert für viele junge Männer aus armen Verhältnissen stammend, übte auch für ihn dieser Beruf eine große Anziehungskraft aus. Der neunte Sohn eines Kleinbauern nimmt den untergeordneten Stand, in den er hineingeboren wurde, nicht einfach mehr hin, sondern macht Gebrauch von seiner Freiheit und sucht sein Glück. Für ihn lag es als Missionar in der Fremde, in der man scheitern, aber auch Erfolg haben konnte.
Er heiratet übrigens eine Afrikanerin und schlüpft mit seiner schwarz-weißen-Familie mal in die Opfer-, mal in die Täterrolle. Genau dieses Spannungsfeld von Rassismus und Kolonialismus einer Familie mit schwarz-weißer Herkunft in der Zeit vom 18. Jahrhundert bis heute beschreibt Ursula Trüper in „Zara oder das Streben nach Freiheit“, deren Vorfahren ihre Herkunft mal verleugnen, mal zaghaft eingestehen, mal verdrängen und schlussendlich aufarbeiten.
Deutsche Missionare hinterlassen vielschichtiges Erbe in Afrika
Die Glaubensboten brachten mit dem Evangelium zwar Entwicklung, Aufklärung, Bildung und Fortschritt und setzten sich für die Menschenrechte der Eingeborenen ein. Auf der anderen Seite fühlten sich (nicht nur) deutsche Missionare in Afrika den Einheimischen gegenüber überlegen – was letztendlich Ausbeutung und Sklaverei rechtfertigte nach dem Motto: „Das sind die Menschen ohne Religion.“
Dieses Muster wurde zusätzlich verkompliziert, als mit dem europäischen Handel mit versklavten Menschen auch „Menschen ganz ohne Seele“ erfunden wurden.
Das heißt, diese Dehumanisierung, dieses Absprechen von Menschlichkeit war Teil dieser Einteilung: Menschen mit richtiger Religion in Europa, Menschen ohne Religion in den Kolonien und Menschen ohne Seele, die dann auch ausgebeutet beziehungsweise zu Tode geschuftet werden könnten.
Der Stuttgarter Missionsexperte Dieter Heidtmann bezeichnet den Anteil der Kirche an der Unterdrückung der kolonisierten Völker als „sehr vielschichtig“. Auf der einen Seite hat die Kirche im deutschen Kolonialismus zur Prägung von rassistischen Vorurteilen beigetragen, sagt der Generalsekretär des internationalen Missionswerks „Evangelische Mission in Solidarität“.
Auf der anderen Seite habe sie diese später erfolgreich bekämpft. Der Widerstand gegen Kolonialismus und Rassismus ist also aus der Missionsarbeit entstanden. Nachfahren der Missionare haben mancherorts den Boden für eine Dekolonialisierung bereitet.
Deutschland: Eine koloniale Großmacht?
Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden zählt Deutschland nicht zu den kolonialen Großmächten. Es besaß im 19. Jahrhundert relativ wenige Kolonien, davon die meisten auf dem afrikanischen Kontinent und in Asien. Diese „Schutzgebiete“, wie sie damals genannt wurden, hatte Deutschland zudem nur kurze Zeit in Besitz: von 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.
Missionsgesellschaften wurden in der Regel nicht von der Kirche aus gegründet, sondern eher von kirchlichen Außenseitern, die ihren Glauben weitertragen wollten. Diese standen oft in einem kritischen Verhältnis zu den Kolonialherren und sind deshalb manchmal auch aus den Kolonien ausgeschlossen worden.
Aus der Vergangenheit lernen
Die Missionsarbeit hat aus ihrer Vergangenheit gelernt und den Blick in den vergangenen 50 Jahren grundlegend verändert. Heute wird deshalb nicht mehr angenommen, es in Deutschland besser zu wissen, als zum Beispiel die Menschen in Ghana oder in Indonesien. Der interkulturelle Dialog wurde eher zur Selbstverständlichkeit.
Andererseits zeigen Plakate in kirchlichen Einrichtungen für Entwicklungshilfe noch immer hungernde schwarze Kleinkinder, womit die alten klischeehaften Bilder weiterhin bestehen – und damit suggerieren, dass Europäer aus moralischen Gründen in Armut lebenden Menschen helfen sollten.
Macht man sich allerdings bewusst, dass Europa an dieser Armut einen Anteil hat und sich nichts daran ändern wird, solange die Machtverhältnisse so sind – bleibt ein fader Beigeschmack.
Eine koloniale Familiengeschichte in Schwarz-Weiß
In ihrem Buch „Zara oder das Streben nach Freiheit“ schreibt Ursula Trüper über ihre Großmutter Dora, eine Nachfahrin von Johann Hinrich Schmelen:
Anfang des 20. Jahrhunderts haben „die tonangebenden europäischen Länder Kolonien und erwirtschaften ihren Reichtum mit Sklavenarbeit. Das ist schwer vereinbar mit den revolutionären Forderungen von einst. Sollen die Sklaven und Bewohner der kolonisierten Länder nicht ebenfalls das Recht auf Freiheit und das „Streben nach Glück“ haben? Diese Frage wird damals in liberalen und philanthropischen Kreisen durchaus gestellt. Die Lösung aus diesem Dilemma: Rassismus.
[…]
Doras Kindheit und Jugend fällt in die erste Blütezeit eines „wissenschaftlichen Rassismus“. Natürlich gab es auch schon in früheren Zeiten rassistische Vorurteile. Doch nun nimmt sich die Wissenschaft des Themas an. Moderne Verfahren wie Schädelvermessungen und die wiederentdeckten Mendelschen Gesetze werden eingesetzt, um zu beweisen, dass bestimmte „Rassen“ von Natur aus zum Herrschen bestimmt sind, während andere zu nichts anderem taugen, als von den ersteren unterworfen und ausgebeutet zu werden. Damals kommt das Wort „Eugenik“ in Gebrauch, oder, wie man in Deutschland sagt, „Rassenhygiene“.
[…]
An die Stelle des Rechts jedes Einzelnen, nach dem persönlichen „Glück“ zu streben, war die Idee getreten, dass es menschliche Rassen gab, die aufgrund ihrer „günstigen Erbanlagen“ bereits „glücklich geboren“ und zum Herrschen über die weniger „Glücklichen“ bestimmt waren. Von „Freiheit“ ist nicht mehr die Rede.
Das ist Doras Geheimnis, das sie schließlich ihrem Verlobten „gesteht“. Sie selbst ist nicht „glücklich geboren“, jedenfalls nicht vollständig. Ihr Urgroßvater Schmelen, jener beherzt nach Freiheit und seinem persönlichen Glück strebende Schmied und Missionar, hatte einst eine Afrikanerin geheiratet. Dora ist die Nachkommin einer „Hottentottin“ …“
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