

© shutterstock: Gorodenkoff
Dass mRNA gegen Krebs hilft und eigentlich sogar genau dafür entwickelt wurde, ist kaum bekannt – zu sehr hat Corona und damit auch die mRNA-Impfung die Schlagzeilen ab 2019 bestimmt. Doch die Technik hat enormes Potenzial und könnte eines Tages dazu beitragen, den Krebs zu besiegen. Ein Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen.
Ende Juni 2021. Deutschland schaut seinem zweiten Corona-Sommer entgegen. Die Corona-Impfkampagne läuft gerade auf Hochtouren und die Zulassung für die Impfung der Zwölf- bis Siebzehnjährigen wurde gerade erst erteilt. Man könnte also lange über die Pandemie und ihre Bekämpfung plaudern, doch für Özlem Türeci, Mitbegründerin von BioNTech, stehen längst andere Themen an. „Wissen Sie, was mich besonders stolz macht?“, fragt sie mehr rhetorisch, „dass wir mitten in der Pandemie unsere ersten RiboCytokine in den Menschen gebracht haben.“
mRNA: Konzeptioniert als Waffe gegen Krebs
Richtig, da war doch etwas. Ursprünglich war BioNTech angetreten, die Krebstherapie zu revolutionieren. Ihre erste Idee: Mit einer Impfung wollen sie den Körper so trainieren, dass er selbst gegen Tumore kämpfen kann. Über Jahrzehnte haben sie daran geforscht, haben hunderttausende Tumorproben gesammelt und analysiert – und sind auf Eigenschaften gestoßen, die jeden Tumor einzigartig machen.
Diese Strukturen soll das Abwehrsystem mithilfe der Impfung bekämpfen können – ganz so wie bei Corona. Die mRNA trägt die Information über das Eiweiß, gegen das sich die Abwehrkraft richten soll. Mal setzt BioNTech auf diese Strategie allein, in anderen Fällen wird die mRNA in Kombination mit anderen Immuntherapien verabreicht. Denn was kaum jemand für möglich gehalten hat: Die mRNA-Impfung verhilft selbst erschöpften, nicht mehr angriffslustigen Abwehrzellen zu neuer Kraft.
Krebs – der uralte Traum von der Heilung
Doch bevor wir noch tiefer in den aktuellen Stand der Forschung, ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen eintauchen, wollen wir einen Blick zurück werfen auf die Grundlagen der Krebsentstehung und die damit zusammenhängenden Probleme und Therapieansätze.
Krebs entsteht, wenn sich körpereigene Zellen ungebremst vermehren und dabei – meist aufgrund von Mutationen bei der Zellteilung – nicht mehr gestoppt werden können.
Gestörte Reparaturmechanismen
Die Mutationen alleine sind dabei nicht das Problem – im Körper eines jeden Menschen passiert dies millionenfach am Tag. In einem gesunden Körper sorgen Reparaturmechanismen dann dafür, dass schädliche Abweichungen korrigiert oder entsprechende Zellen gleich komplett zerstört werden – letzteres bezeichnet man als Apoptose.
Kritisch wird es, wenn der Körper diese Mutationen nicht erkennt – dann kann Krebs entstehen. Mit zunehmendem Alter sind unerkannte Mutationen immer häufiger der Fall. Deswegen steigt nach dem 60. Lebensjahr die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, erheblich an. Die bekannten Risikofaktoren und Zivilisationserscheinungen wie Übergewicht und Bewegungsmangel tun ein Übriges.
Tumoren beherrschen zudem raffinierte Mechanismen, um zu überleben und sich vor der körpereigenen Immunabwehr zu verstecken. Sie installieren eine eigene Nährstoffversorgung und breiten sich immer weiter aus, sie metastasieren. Sie können Schutzgene aktiv ausschalten und den kontrollierten Selbstmord der mutierten Zellen dadurch verhindern.
Tumorzellen suchen sich darüber hinaus gezielt Schwachstellen im Organismus aus. Sie halten sich unter anderem in Körperregionen auf, wo die Körperabwehr schwach ausgeprägt ist – in Fettgewebe zum Beispiel. Tatsächlich ist Fettleibigkeit derzeit auf dem besten Wege, dem Rauchen als Krebsursache Nummer eins den Platz streitig zu machen.
Keine Chance also für Mensch und Medizin?
Körperantwort und Manipulationen
Nicht ganz. Denn das Abwehrsystem ist darauf ausgelegt, alles zu erkennen, was den Körper gefährden könnte – Krankheitserreger, virusinfizierte Zellen oder auch kranke Zellen. Dafür trägt jede Körperzelle auf ihrer Oberfläche einen Code aus bestimmten Proteinen. Vereinfacht gesagt funktioniert das so: Die Immunabwehr patroulliert durch den Körper und kontrolliert diese Oberflächencodes. „Passt“ einer davon nicht zum körpereigenen Code, schlägt die Immunabwehr zu und eliminiert den Feind. Es gibt sogar mehrere Sicherungssysteme, gewissermaßen Backups, wenn Teile der Immunantwort versagen.
Tatsächlich setzen die erfolgversprechendsten Therapieansätze auf die Stimulation der eigenen Körperantwort. Es handelt sich im Prinzip um eine Impfung – der Körperabwehr wird ungefährlicher „Schadcode“ präsentiert und diese kann kranke Zellen anschließend mit höchster Präzision ausschalten. Das Problem dabei: Manchmal weiß die menschliche Immunabwehr gar nicht, dass der Körper krank ist – weil sie ausgetrickst wurde.
Noch mehr Tricks
Die Tumorzellen beherrschen nämlich einen fiesen Trick – sie schaffen es, den für die Immunantwort wichtigen T-Helferzellen gewissermaßen zu „erzählen“, die Krankheit sei besiegt und die Körperabwehr könne beendet werden. Was die Abwehrzellen dann auch fatalerweise tun und die weitere Ausbreitung der Krankheit ermöglichen.
Was den Kampf gegen den Krebs außerdem noch schwerer macht: Jede Erkrankung ist einzigartig. Tatsächlich gleicht kein Patient dem anderen – und noch nicht einmal zwei Tumore desselben Patienten gleichen sich! Insgesamt wurden bei der Genanalyse von Krebspatienten mehr als 1.700 defekte Gene in 22 Tumoren gefunden.
Krebsgeschwüre sind keine einheitliche Masse, sie entwickeln ein Eigenleben. Therapien etwa, die den einen Teil eines Tumors noch vernichten können, sind gegen einen anderen Teil desselben Tumors machtlos – weil er bereits Wege gefunden hat, um ihnen zu entgehen.
Diese Tatsache sorgt dafür, dass universelle Impfungen wenig Erfolg versprechend sind. Und genau hier setzt die mRNA-Technik an.
mRNA gegen Krebs
Einer der frühen mRNA-Therapieansätze gegen Krebs war es, die individuellen Gene eines Tumors – unter anderem mit Computerunterstützung – zu identifizieren und daraus eine Art Fingerabdruck der individuellen Krankheit zu erstellen. Ähnlich wie bei der Impfung gegen das Coronavirus werden diese Proteine den Kranken dann sicher verpackt in ein fettiges Vehikel als mRNA-Codes gespritzt. Danach produziert der Körper der Patienten selbst die Tumor-Strukturen, die seine Immunabwehr dann als feindlich erkennen und bekämpfen kann.
Leider ergaben die ersten Versuchsreihen nicht die gewünschten Ergebnisse. Forscher sind daher dazu übergegangen, mehrere „Fingerabdrücke“ zusammen in einer Impfung zu verabreichen – die mRNA-Technik macht auch das möglich. So können die Signaturen verschiedener Krankheitsherde kombiniert angegriffen werden. Forschungsreihen laufen derzeit, die Ergebnisse stehen allerdings noch aus.
Bleibt das Problem, dass Tumorzellen wie oben beschrieben einfach die Immunabwehr anlügen und zur Abschaltung bewegen können. Eine weitere Verbesserung der individuellen mRNA-Impfung ist ebenfalls im Versuchsstadium: Die Idee: Man verabreicht eine Immuntherapie, die den Tumoren die Tarnkappe entreißt, und kombiniert diese mit der Impfung. Damit sind vor allem die PD-1-Blocker gemeint. PD 1 ist ein Protein, das die Immunantwort herunterfährt, dem Körper gewissermaßen das Signal gibt, alles sei okay. Tumorzellen weisen mithilfe dieses Proteins die Körperabwehr zurück. PD-1-Blocker unterbrechen diesen Mechanismus und machen den Tumor verletzlich; die Impfung sorgt danach für eine umso kräftigere Attacke.
mRNA-Abwehrmoleküle gegen Krebs
Viele der neuen Krebstherapien beruhen also auf Molekülen, die der Körper auch selbst herstellt. Sie sind selbst Eiweiße. So auch die RiboCytokine. Es sind Abwehrmoleküle, die in den Tumor gespritzt werden, um ihn zu bekämpfen. Erste klinische Studien laufen bereits in Spanien, Großbritannien und bald auch in Deutschland. Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung sind weitreichend. Die riesigen Pharmaanlagen, in denen die Wirkstoffe bislang gezüchtet werden, würden überflüssig. „mRNA ist nicht nur der Weg in eine neue, sondern auch in eine gerechtere und bezahlbarere Medizin“, sagt Uğur Şahin, der Gründer von BioNTech.
Es sind also viele verheißungsvolle Ideen und Projekte zu verzeichnen, die zu einem Segen für die unzähligen Krebskranken auf der ganzen Welt werden könnten. Vor Euphorie jedoch wie einst nach der Erfindung der Chemotherapien sollten wir uns besser hüten. Alle Erfahrungen der vergangenen siebzig Jahre lehren uns ganz sicher nur eines: Verbesserungen kommen in der Krebsmedizin in kleinen Schritten, und mit Rückschlägen ist immer zu rechnen. Auch der neuen RNA-Medizin wird nicht alles gelingen, was wir uns wünschen. Aber die Forschung ist bisher vielversprechend, Erfolge sind immer möglich.
Radiobeitrag „mRNA – Hilfe für Millionen schwerkranker Menschen?“
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