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Gerade in einer Zeit voll von Umbrüchen und Veränderungen suchen viele Menschen Halt und Orientierung in esoterischen Welterklärungsmodellen. Horoskope zeigen vermeintlich, was die eigene Zukunft bringen wird. Der Heiler wird zur Leitfigur, die aus Krisenzeiten herausführen soll. Spirituelle Influencer:innen versprechen einfache Lösungen für komplexe Lebensfragen. So hat schleichend rechte Esoterik Einzug in den Alltag vieler Menschen gehalten.
Hat der Glaube an Übernatürliches Einfluss auf die Demokratie?
Nicht jeder, der sich zu kosmischen Kräften hingezogen fühlt, gehört dem rechten Lager an. Doch ist der Glaube an unsichtbare Kräfte, die unser Leben in die richtige Bahn lenken sollen, auch keine harmlose Marotte. Der Esoterik-Trend birgt Risiken, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind.
Dies ist umso beunruhigender, da esoterische Dienstleistungen keineswegs nur für eine kleine Minderheit attraktiv sind: Laut einer Allbus-Umfrage sehen 40 Prozent der Deutschen einen tieferen Sinn hinter Astrologie oder spiritueller Erleuchtung. Jeder vierte ist offen für Wunder- und Geistheiler.
Die Zahlen dürften vor allem seit dem Anfang der Corona-Pandemie noch erheblich gestiegen sein. Denn der Esoterikmarkt boomt geradezu: Allein in Deutschland sollen die jährlichen Umsätze zwischen 15 und 20 Milliarden Euro liegen.
Weshalb „rechte Esoterik“?
Harmlose Spinner oder Fanatiker? Wer für Esoterik nichts übrig hat, steckt deren Fans meist in eine dieser beiden Schubladen. Rechtsextreme Tendenzen vermuten viele in diesem Zusammenhang eher nicht. Und auch die meisten Anhänger esoterischer Praktiken würden wohl eine derartige Einstellung von sich weisen. Doch die Grenzen sind fließend, vermutlich auch weil Esoterik schon sehr früh mit rechtem Gedankengut verbunden war.
Anfänge der westlichen Esoterik
Um die Verquickung zwischen Rechtsextremismus und Esoterik besser verstehen zu können, hilft ein Blick auf eine der Schlüsselfiguren: Helena Blavatsky. 1875 gründete die russischstämmige Esoterikerin und Okkultistin in New York die Theosophische Gesellschaft. Das Wort Theosophie stammt aus dem Griechischen und meint »göttliche Weisheit«. Drei Jahre später erschien ihr Buch Geheimlehre, welches das Gedankengut von Esoterikern nachhaltig prägte.
Blavatsky erläuterte in ihrem Werk ihre ganz eigene Menschheitsgeschichte. Dort ist die Rede von verschiedenen „Wurzelrassen“, deren spirituell höchste Stufe die „germanisch-angelsächsische“ bzw. die „arische Wurzelrasse“ darstellt. Auf Basis von Blavatskys Theosophie bildeten sich weitere Subgruppen, die bekannteste davon die Anthroposophie.
Der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, kritisierte die Lehre Blavatskys als nicht christlich genug und gründete seine eigene Denkschule, aus der sich Waldorfschulen, biodynamische Landwirtschaft, „anthroposophische Medizin“ und andere Ansätze entwickelten.
Rechte Esoterik in der NS-Zeit
1915 hatte sich als weitere Abspaltung der Theosophie die Ariosophie herausgebildet. Diese propagierte, dass „Arier“ die am höchsten entwickelte menschliche „Wurzelrasse“ seien. Blavatskys Thesen wurden zudem mit Elementen aus der germanischen und nordischen Mythologie angereichert. Die Germanen bekamen deshalb eine besondere spirituelle Rolle zugeschrieben.
Das Gesellschaftsmodell war rassistisch organisiert, „minderrassige“ Menschen sollten sich den als spirituell überlegen angesehenen „Ariern“ unterordnen. Der antisemitische Mythos der jüdischen Weltverschwörung, an den auch die NSDAP anknüpfte, war im esoterischen Zirkel der Ariosophie weit verbreitet.
Das Verhältnis zwischen Esoterik und Nationalsozialismus war vielschichtig. So gehörten Mitglieder der Vorläuferorganisationen der NSDAP auch der ariosophisch geprägten Thule-Gesellschaft aus Bayern an wie beispielsweise Rudolf Heß und Julius Streicher. Obwohl Hitler Esoterisches offiziell ablehnte, nahm die NSDAP immer wieder Bezug auf esoterische und okkulte Versatzstücke, einige Vertreter der biodynamischen Bewegung pflegten enge Kontakte zu Nazi-Größen.
Rechte Esoterik heute
Auch das New Age, das vielen als Synonym für die Hippie-Bewegung gilt, ist von esoterisch-rassistischen Weltbildern geprägt. Überlappungen zwischen menschenverachtenden Ideologien und Esoterik lassen sich auch heutzutage beobachten.
Braune Esoterik wird jedoch nicht nur dort praktiziert, wo ein klares menschenverachtendes Weltbild erkennbar ist. Es gibt einige ideologische Versatzstücke, auf die man achten sollte, um frühzeitig zu merken, wann etwas problematisch werden könnte. Dazu zählen u. a. rechtsoffener Okkultismus und Neuheidentum, Karma und Wiedergeburtsvorstellungen, Welteinteilung in Gut und Böse, völkischer Eliteglauben und Selbstüberhöhung, autoritäre Gesellschaftsvorstellungen, menschenfeindliche Weltbilder, Sozialdarwinismus, Fortschrittsfeindlichkeit, völkisch verstandene Antiglobalisierung und Verschwörungstheorien.
Gefahren für die Demokratie existieren durchaus: Soziale Medien und Filterblasen führen Gleichgesinnte zusammen. Dadurch entsteht leicht der Eindruck, Teil einer größeren Gruppe zu sein, die sich gegen das „System“ wehren muss. Konträre Meinungen und Ansichten werden ausgeblendet, das eigene Weltbild gestärkt. Risse in der Gesellschaft können in Krisenzeiten zu einer Spaltung führen. Es ist deshalb ratsam, häufiger hinter die Fassade so mancher „ganzheitlicher“ und „sanfter“ Ansätze zu schauen. Dahinter tun sich nämlich leider nur allzu oft Abgründe auf.
Heute schon erleuchtet? – Pia Lamberty und Katharina Nocun über rechte Esoterik
Die Autorinnen des Buchs Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik erläutern im Interview die Verbindung zwischen Esoterik und Rechtspopulismus.
Wie definieren Sie Esoterik, vor der Sie in Ihrem Buch warnen?
Esoterik ist so ein Begriff, mit dem vermutlich jeder etwas verbindet, der aber bei genauerer Betrachtung gar nicht so einfach zu definieren ist. Unter »Esoterik« versteht man in der Regel eine Geheimlehre, etwas, das nur einem gewissen Personenkreis zugänglich ist. Zu Esoterik werden spirituelle, anthroposophische, okkultistische oder magische Praktiken gezählt. Auch eine Reihe von alternativen Heilmethoden stützen sich auf esoterische Glaubenssätze, wie beispielsweise Aura-Chirurgie, Chakra-Healing oder Homöopathie.
Was macht Menschen empfänglich für esoterische Botschaften?
Es gibt verschiedene psychologische Studien, die sich damit beschäftigen, warum Menschen anfällig sind für esoterische Weltbilder. Insbesondere Krisenzeiten machen Menschen empfänglicher für magisches Denken, die Esoterik verspricht in solchen Momenten, scheinbar Halt zu bieten. Darin liegt auch eine große Gefahr. So kann etwas, das in guten Zeiten harmlos wirkt, bei privaten Krisen oder Erkrankungen schnell zur gefährlichen Krisenbewältigungsstrategie werden
Was verbindet Esoterik und Rechtsextremismus?
Wenn man sich die Geschichte der Esoterik im deutschsprachigen Raum anschaut, sieht man von Anfang an eine Verbindung von esoterischen und rechtsextremen oder antisemitischen Strömungen. Verschiedene Feindbilder zeigen sich in esoterischen Strömungen bis heute: »Die da oben« werden zum Feindbild, Wissenschaft wird oft systematisch geleugnet und auch Antisemitismus ist immer wieder mit esoterischen Weltbildern verknüpft
Viten:
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty ist Mitbegründerin der Denkfabrik CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie). Dort hat man sich der Erforschung der Ursachen von Antisemitismus und Verschwörungsideologien, der Desinformation und des Rechtsextremismus im Internet verschrieben. Lamberty promoviert am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Sie forscht als Psychologin seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt. Ihre Forschung führte sie an die Universitäten Köln, Mainz und Beer Sheva (Israel). Darüber hinaus ist sie Mitglied im internationalen Fachnetzwerk Comparative Analysis of Conspiracy Theories. Sie verortet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft und ist regelmäßige Interviewpartnerin für die Medien (u.a. Tagesschau, heute journal, Report München, Monitor, Die Zeit, Spiegel, Vice).
Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin, Publizistin und hat Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Münster und Hamburg studiert (M.Sc.). Sie leitete bundesweit Kampagnen u.a. für die Bürgerbewegung Campact e.V., den Verbraucherzentrale Bundesverband, Mehr Demokratie e.V. und die Free Software Foundation Europe e.V.. Sie klagt derzeit gegen mehrere Überwachungsgesetze vor dem Bundesverfassungsgericht (u.a. die Reform der Bestandsdatenauskunft sowie die Vorratsdatenspeicherung) und erzwang mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission ein neues Bundesdatenschutzgesetz. Nocun ist regelmäßig als Expertin zu Gast in zahlreichen Fernsehformaten, darunter Lanz, Illner, Maischberger und 3nach9. Sie veröffentlicht regelmäßig Beiträge in zahlreichen Medien, darunter Süddeutsche Zeitung, FAZ, Die Zeit, Handelsblatt und Der Freitag. In ihren Blog kattascha.de setzt sie sich vor allem mit gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung sowie populistischen und demokratiefeindlichen Bewegungen auseinander. Ihr Podcast DENKANGEBOT war 2020 für den Grimme Online Award nominiert.
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