

Wann darf ein Staat in die Meinungsfreiheit eingreifen? © shutterstock
In aktuellen Diskussionen taucht häufig das Wort „Zensur“ auf, oft als schwerer Vorwurf gegenüber dem Staat oder bestimmten Medien. Doch trifft der Begriff „Zensur“ überhaupt? Verbietet das Grundgesetz in Deutschland nicht per se Zensur? Haben die wütenden Stimmen Recht und ist Deutschland zu einer „Meinungsdiktatur“ geworden? Oder braucht Demokratie womöglich sogar das Mittel der Zensur? Eine Einordnung.
Was bedeutet Zensur überhaupt?
Zensur bedeutet per Definition, dass eine Regierung die Medien kontrolliert. Das geschieht weltweit und zwar aus verschiedenen Gründen, nämlich politischen, sozialen oder auch militärischen.
Warum üben Regierungen Zensur aus?
Sowohl die Mittel als auch die Gründe für staatliche Zensur können sich stark unterscheiden: Die chinesische Regierung zum Beispiel filtert systematisch kontroverse Inhalte aus dem Internet und blockiert Websites, um ihre Autorität zu sichern – die Motivation ist politisch, das Ziel ist es, regierungskritische Positionen zu unterdrücken. Wenn ein Land wie Saudi-Arabien Internetseiten über Frauenrechte oder Homosexualität blockt, spricht man von Zensur auf sozialer Ebene, zum Beispiel um den gesellschaftlichen Konsens oder die staatliche Deutungshoheit zu bewahren. Wenn eine Regierung Informationen unterdrückt, um militärische Informationen geheim zu halten, handelt es sich um sicherheitsbezogene Zensur.
Warum üben Facebook, Twitter & Co formal keine Zensur aus?
Es ist immer eine Regierung, die Zensur ausübt, nicht einzelne Personen oder Unternehmen wie soziale Netzwerke. Wenn ein soziales Netzwerk beispielweise Bilder weiblicher Brustwarzen löscht, macht es von dem Recht Gebrauch, frei festzulegen, nach welchen Regeln die eigene Plattform bespielt werden kann. Das kann man sich ähnlich vorstellen, wie man es vom „Hausrecht“ kennt: Der Gastgeber bestimmt, wer reindarf, ob das Haustier auch willkommen ist und wann die Party beendet ist. Sperrungen durch Twitter & Co sind demnach keine Zensur.
Der Unterschied zwischen Vorzensur und Nachzensur
Neben den Gründen, in die Berichterstattung einzugreifen, ist bei der Zensur eine weitere Unterscheidung wesentlich und zwar die zwischen Vorzensur und Nachzensur: Im ersten Fall prüft eine Regierung Berichte, bevor sie veröffentlicht werden. Im zweiten Fall greift sie erst ein, nachdem ein Medium berichtet hat. Nimmt ein Staat Vorzensur vor, ist das also ein deutlich stärkerer Eingriff: Die Regierung beansprucht das Meinungsmonopol grundsätzlich für sich und stellt Medienberichte generell unter ihre Kontrolle. Diese Art von Zensur schließt Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes eindeutig aus: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Zensur ist in Deutschland die Ausnahme
Trotz dieses Verbotes gibt es aber auch in Deutschland Zensur, nämlich Nachzensur, und das auch nur in rechtlichen begründeten Fällen: ausschließlich dann, wenn das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit in Konflikt mit anderen Rechten gerät, die unsere Verfassung als schützenswert definiert, kann ein Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtens sein. Das kann der Fall sein, wenn die Berichterstattung gegen geltendes Recht verstößt, zum Beispiel bei strafbaren Beleidigungen, übler Nachrede oder Schmähkritik. Ob im Einzelfall das grundsätzliche Recht auf Meinungsfreiheit oder aber das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen schwerer wiegt, liegt nicht immer klar auf der Hand – oftmals müssen dann Gerichte abwägen und entscheiden.
Prominente Gerichtsurteile und Auseinandersetzungen zur Meinungsfreiheit
Ob ein Eingriff in die Meinungs- oder Pressefreiheit zulässig ist, entscheiden im Einzelfall Gerichte. Es ist jedes Mal abzuwägen, was schwerer wiegt: Der Schutz von individuellen Persönlichkeitsrechten oder das allgemeine Recht auf Meinungsfreheit laut Artikel 5 des Grundgesetzes.
Böhmermann vs. Erdoğan
Der türkische Staatspräsident Erdoğan hatte Strafanzeige gegen Jan Böhmermann erstattet, der ein satirisches Gedicht über ihn veröffentlicht hatte. Dabei berief sich Erdoğan auf den Schutz seiner Ehre, insbesondere in seinem Amt als türkischer Präsident. Im Zuge des Verfahrens legte Jan Böhmermann schließlich sogar Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, die jedoch abgelehnt wurde.
Künast vs. facebook
Die Grünen-Politikerin Renate Künast stritt vor Gericht darüber, ob Kommentare wie „Drecks Fotze“ oder „Schlampe“ beleidigend genug sind, um deswegen von facebook die Identität der Urheber der Beschimpfungen verlangen zu dürfen. Das Landgericht Berlin bewertete zunächst den Schutz der Meinungsfreiheit höher als den Schutz der Persönlichkeitsrechte Künasts: Die facebook-Posts seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil später allerdings auf.
Haider vs. ZDF
Der Österreichische Politiker Jörg Haider hatte das ZDF verklagt, weil er sich im Fernsehen nicht als „gefährlicher politischer Gauner“ bezeichnen lassen wollte. Das ZDF bekam letztlich Recht und zwar mit der Begründung, dass die Formulierung durchaus einen Sachbezug habe und nicht nur eine „bloße Herabsetzung“ sei.
Meinungsvielfalt oder „Meinungsdiktatur“?
Dass das deutsche Recht Zensur ausschließt bzw. an harte Bedingungen knüpft, hat auch historische Gründe: Vor dem Hintergrund der Erfahrung der Nazi-Zeit, in dem die Regierung die Medien zu Propagandazwecken instrumentalisiert hat, gelten in Deutschland heute gesetzliche Rahmenbedingungen, die explizit auf eine Vielfalt von Meinungen in der Berichterstattung abzielen – und eben nicht darauf, eine bestimmte, regierungstreue Meinung zu stärken:
- Rundfunkräte wachen über das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender, um Meinungsvielfalt zu gewährleisten.
- Der Rundfunkstaatsvertrag verbietet unter anderem, dass TV-Konzerne über einen gewissen Marktanteil wachsen.
- Die Landesmedienanstalten haben die privaten Sender im Blick, um beispielsweise zu verhindern, dass sich zu viele von ihnen zusammenschließen und so die Meinungsbildung zu stark beeinflussen könnten.
- Das deutsche Grundgesetz benennt das Recht auf Meinungsfreiheit in Artikel 5. Gerichte wägen im Einzelfall ab, ob ausreichende Gründe vorliegen, dieses Recht einzuschränken.
Zensur im internationalen Vergleich
Im Vergleich dazu die Situation in Russland: Auch hier garantieren Gesetze die Meinungsfreiheit als Grundrecht und auch das Verbot der Zensur ist formuliert. Allerdings hat sich Putin recht große Schlupflöcher geschaffen, zum Beispiel mit einem Gesetz, das harte Strafen für die Verbreitung kritischer Informationen über den Krieg gegen die Ukraine vorsieht. Die russischen Medienanstalten verhängen Bußgelder, drohen mit Schließung und Strafen und haben so jene Positionen in den Medien, die der Regierung widersprechen, systematisch zum Schweigen gebracht.
Oder China: Der Staat lässt ausschließlich chinesische Suchmaschinen zu und sperrt auch darüber hinaus zahllose Websites und Apps, filtert Inhalte nach bestimmten Suchwörtern aus. Chinesische User können nicht ohne Weiteres auf Seiten wie google.com, Google Maps, Facebook, YouTube, Wikipedia, Twitter, Pinterest oder Xing zugreifen, geschweige denn auf westliche Nachrichtenseiten. Inländische Redaktionsleiter arbeiten nach Anweisungen der Regierung. Die chinesische Regierung selbst gibt an, die Bevölkerung vor „schädlichen Auswirkungen illegaler Informationen auf die Sicherheit des Staates, die öffentlichen Interessen und Kinder“ schützen zu wollen.
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