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Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa © Maria Ressa: „How to Stand up to a Dictator“

Die Friedensnobelpreisträger Maria Ressa und Dmitri Muratow fordern konkrete Maßnahmen gegen Fake News und im Kampf gegen Desinformation und für Informationsfreiheit. „Es sind radikale Maßnahmen erforderlich, um das Geschäftsmodell großer Tech-Unternehmen zu entgiften und das Internet für die Allgemeinheit zurückzugewinnen“, so Ressa. „Ein Gegenmittel gegen die Verzerrung von Tatsachen und die Polarisierung gesellschaftlicher Debatten ist die Unterstützung von wirklich unabhängigen Medien“, benennt Muratow einen Aspekt im Kampf gegen Desinformation und Manipulation im Netz. Die beiden Journalisten nehmen die internationale Politik in die Pflicht und fordern von EU und UN hartes Durchgreifen und Gesetze. Insbesondere unabhängiger Journalismus müsse geschützt werden; ihm falle eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, Desinformation aufzudecken zu bekämpfen.

Auf der Konferenz über Meinungs- und Redefreiheit im Nobel-Friedenszentrum in Oslo am 2. September 2022 präsentierten die beiden Journalisten einen 10-Punkte-Plan zur Überwindung der Informationskrise: 

Was ist zu tun im Kampf gegen Desinformation und Manipulation im Netz?

Wir fordern eine Welt, in der neue Technologie den Menschen dient, und in der unser globaler öffentlicher Raum den Schutz der Menschenrechte über den Schutz der Profite stellt. Die Mächtigen müssen ihren Teil beitragen zur Errichtung einer Welt, die Menschenrechte, Würde und Schutz der Menschen an die erste Stelle setzt. Dazu zählt auch die Bewahrung wissenschaftlicher und journalistischer Methoden und bewährten Wissens. Zur Errichtung dieser Welt müssen wir dem Geschäftsmodell des profitorientierten Überwachungs-Kapitalismus ein Ende setzen. Wir müssen die technologische Diskriminierung beenden und die Menschen überall auf der Welt gleich und gerecht behandeln. Und wir müssen den unabhängigen Journalismus als Gegenmittel gegen die Tyrannei neu etablieren.
Unsere Forderungen an alle demokratischen Regierungen, die Achtung vor den Menschenrechten haben, lauten wie folgt:

Transparenz der Tech-Konzerne

1. Verlangen Sie von den Technologiekonzernen, die Auswirkungen ihres Tuns auf die Menschenrechte unabhängig prüfen zu lassen und transparent zu machen. Fordern Sie
von den Konzernen Transparenz über alle Aspekte ihres Geschäftsgebarens – von der Moderation von Beiträgen über Einflüsse von Algorithmen und Datenverarbeitung bis hin zu Integritätsregeln.

Starke Gesetze zum Datenschutz

2. Schützen Sie das Recht der Menschen auf Privatsphäre mit starken Gesetzen zum Datenschutz.

Unabhängige Medien

3. Verurteilen Sie öffentlich und weltweit Angriffe auf Journalisten und die freie Presse, und verpflichten Sie sich zur Finanzierung und Unterstützung unabhängiger Medien und
Journalisten, die Angriffen ausgesetzt sind.

Konsequenz über EU-Grenzen hinaus

Von der Europäischen Union fordern wir:
4. Setzen Sie Gesetze für digitale Dienste und den Digitalmarkt konsequent durch, damit diese Gesetze nicht bloß zu einem neuen Stückchen lästiger Bürokratie für die Unternehmen verkommen. Zwingen Sie die Konzerne zu Veränderungen ihres Geschäftsmodells, zu dem etwa die Praxis algorithmischer Informationsverbreitung gehört, die grundlegende Rechte bedroht und der Verbreitung von Desinformation und Hass Vorschub leistet. Setzen Sie das auch in Fällen durch, in denen die Gefahren ihren Ursprung außerhalb der Grenzen der EU haben.

Überwachende Werbung verbieten

5. Dringen Sie auf die Einführung von Gesetzen, die überwachende Werbung von Unternehmen verbieten, in Erkenntnis der Tatsache, dass diese Praxis in grundlegendem Widerspruch zu den Menschenrechten steht.

DGSVO uneingeschränkt durchsetzen

6. Sorgen Sie für eine uneingeschränkte Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung der EU, um das Recht der Menschen auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Journalisten und Journalistinnen schützen

7. Etablieren Sie robuste Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, der Nachhaltigkeit von Medien und demokratischer Garantien im digitalen Raum im zukünftigen European Media Freedom Act.

Keine Blankoschecks für Desinformation

8. Schützen Sie die Freiheit der Medien, indem sie die »Upstream«-Desinformation unterbinden. Das heißt, neue Technologien oder Mediengesetze dürfen in keinem Fall Ausnahmen oder Hintertüren für irgendwelche Organisationen oder Personen vorsehen. Angesichts des globalisierten Informationsflusses würde dies jenen Regierungen und nichtstaatlichen Akteuren einen Blankoscheck ausstellen, die Desinformation im industriellen Maßstab produzieren und damit überall auf der Welt Demokratien untergraben und die Gesellschaft polarisieren und spalten.

Gegen die gewaltige Lobbymaschinerie

9. Schieben Sie der gewaltigen Lobbymaschinerie, den »Astroturfing«-Kampagnen (d.h. dem Vortäuschen von Bürgerbewegungen) und dem fliegenden Wechsel von Entscheidungsträgern zwischen Big-Tech-Unternehmen und EU-Institutionen einen Riegel vor.

UN-Sondergesandter zum Schutz von Journalisten

Von den Vereinten Nationen fordern wir:
10. Richten Sie die Stelle eines Sondergesandten des UN-Generalsekretärs mit Schwerpunkt auf dem Schutz von Journalisten ein, der befugt ist, den jeweils aktuellen Status quo zu hinterfragen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Verbrechen gegen Journalisten begehen, einen wesentlich höheren Preis dafür zahlen müssen.

Elf weitere Nobelpreisträger und zahlreiche namhafte Personen und Organisationen haben sich hinter Ressa und Muratow gestellt und die Forderungen ebenfalls unterzeichnet, darunter Amnesty International, der Journalist Can Dündar, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz und die Europa-Abgeordnete Alexandra Geese. „Der Widerstand gegen Desinformation, Hass und Unrecht hat einen Namen: Maria Ressa“, konstatiert Geese. ARD-Korrespondentin Natalie Amiri ordnet Ressas Einsatz aus professioneller Sicht ein: „Zehn Haftbefehle, Androhung von hundert Jahren Gefängnis, die permanente Gefahr eines Anschlags, unterwegs mit kugelsicherer Weste. Und was macht Maria Ressa? Weiter! Ein Buch, das inspiriert, durch Mut die Welt zu einer besseren zu machen.“ Hillary Clinton nennt Ressa ihre „persönliche Heldin“. Jetzt kommt es darauf an, dass die Forderungen nicht nur gehört, sondern auch umgesetzt werden.

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