

© Callahan/shutterstock
Die Frage klingt zunächst ganz harmlos: „Woher kommst du?“ Doch an eben dieser Frage entfacht immer wieder eine Diskussion über Rassismus. Denn manche Menschen, denen sie gestellt wird, erachten sie als rassistisch. Als besonders rassistisch gilt sie, wenn noch ein Wort hinzukommt – wie „eigentlich“ oder „ursprünglich“. Die Erklärung dafür: Es höre sich so an, als würde die betreffende Person nicht richtig dazugehören. Selbst wenn ihre Familie vielleicht schon seit Generationen im Land lebt.
Es trifft nicht nur Menschen mit tatsächlichem Migrationshintergrund, sondern potenziell alle, deren familiäre Wurzeln woanders liegen. Über das Motiv der Fragesteller wird immer wieder spekuliert und – auch wenn es schlicht und einfach Interesse – Neugier im besten Wortsinn – ist, es wird als ausgrenzend empfunden.
Ist die Frage auch dann, wenn man versucht, über sie ins Gespräch zu kommen, diskriminierend oder indiskret? Die Antwort darauf ist schwierig. Denn Diskussionen darüber, was als diskriminierend oder rassistisch zu gelten hat, werden zunehmend hitziger.
Ist „Woher kommst du?“ eine Tabufrage?
Im Rahmen der Debatten um Rassismus und Diskriminierung geht es vielfach darum, diese Frage nicht mehr zu stellen, um Menschen nicht direkt auf ihr Aussehen, ihren Akzent, ihren Namen oder ihre geografische Herkunft zu reduzieren. Wer ein bestimmtes Aussehen oder einen anderen Namen hat, passt nach wie vor oft nicht in die Vorstellung vieler alteingesessener Deutscher. Die Frage nach der Herkunft offenbart also auch die jeweils eigene Vorstellung und führt fast automatisch zu einer inneren Beschäftigung mit Herkunft und Zugehörigkeit. So viel sollte klar sein: Sie zu stellen, kann jedoch als verletzend empfunden werden.
Aber ist es wirklich die Lösung, die Frage einfach nicht mehr zu stellen und so zu tun, als würde sie einen nicht beschäftigen? Und ist die doch zumeist dahintersteckende Neugier tatsächlich mit Rassismus verknüpft? Die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ kann mit ausgrenzender Absicht formuliert sein verletzend wirken. Genauso kann sie jedoch die Basis für eine tiefe Verbundenheit schaffen.
Fragt nach der Herkunft, aber nicht als erstes
Es ist daher an der Zeit, sich selbst zu befragen. Wie meine ich diese Frage? Wie empfindet mein Gegenüber sie? Als erste Kennenlernfrage eines Gesprächs ist die Frage nicht geeignet. Schade wäre es allerdings auch, rein aus Angst vor der Vorhaltung des möglichen Rassismus nur wenig über andere Menschen zu erfahren.
Missverständnisse lassen sich meist deutlich schneller aus dem Weg räumen, als viele Menschen glauben. Pauschale Urteile, die die Frage „Woher kommst du eigentlich?“ ausklammern, sind jedoch der falsche Weg, um zur rassismussensiblen Gesellschaft beizutragen.
Wichtiger als die konkrete Frage ist die Einstellung: Steckt hinter dieser Formulierung Unachtsamkeit, der so genannte Alltagsrassismus? Oder enthüllt sie echte Ressentiments? Will mein Gegenüber mich vielleicht wirklich kennenlernen? In diesem Fall hat er eine Chance verdient.
Rassismus ist ein wichtiges Thema und darf in keiner Gesellschaft zu kurz kommen. Aber ist die Frage „Woher kommst du wirklich?“ bereits ein Tabubruch und wo liegen die Grenzen? Genau auf diese Fragen will die Autorin des Buchs „Nicht mein Antirassismus“ eine Antwort finden. Canan Topçu stammt aus der Türkei, lebt aber seit ihrem 8. Lebensjahr in Deutschland und ist als Kind einer, wie sie selbst sagt, Gastarbeiterfamilie in Deutschland aufgewachsen.
Wie es funktionieren könnte
Canan Topçu fühlt sich heimisch hier, aber eine früher häufig gestellte Frage vermisst sie inzwischen: „Woher kommst du?“ Was ihrer Ansicht nach in der Debatte schiefläuft und wie man es besser machen könnte, schildert sie in ihrem Buch Nicht mein Antirassismus:
„Leider möchten immer weniger Menschen von mir wissen, woher ich stamme. Nach der Herkunft zu fragen ist inzwischen verpönt – und dank der vielen Medienbeiträge auch der öffentlich-rechtlichen Sender und Lokalzeitungen ist das auch in der hintersten Ecke Deutschlands angekommen. Darf man oder soll man auf keinen Fall nach der Herkunft fragen? Auf akademischer Ebene wurde über diese Frage schon vor über zehn Jahren nachgedacht.“
[…]
Wenn das Ziel eine rassismusbewusste und diskriminierungssensible Gesellschaft ist, dann gilt es, die positiven und die negativen Aspekte zu benennen – und zwar nach Möglichkeit ohne Schuldzuweisungen – und diese dann in einen Prozess zu überführen. Wie soll das ohne das Gespräch funktionieren?
Eine Möglichkeit des Aufeinander-Zugehens wäre: nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, also die Frage nach der Herkunft für einen späteren Teil des Gesprächs aufheben; sich zunächst auf den Menschen an sich einlassen und ihm den Gesprächsfaden überlassen.
Eine Möglichkeit für den Befragten wäre, so zu reagieren: »Ach, wissen Sie, es ist gar nicht so sehr meine geografische Herkunft oder die meiner Eltern oder Großeltern, die mich geprägt hat; denn zu diesen Ländern habe ich gar keinen Bezug. Es gibt aber den einen oder anderen Ort, an dem ich mich für kurze oder auch längere Zeit aufgehalten habe, und das eine oder andere Ereignis und Erlebnis sowie Menschen, die mich geprägt haben. Darüber würde ich viel lieber sprechen.«
Gesellschaft verändert sich nicht durch Verweigerung. Denke ich. Ich rede und schreibe gerne über meine Herkunft, über Orte und Menschen, die mich geprägt haben. Das ist mein Antirassismus.“
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