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Millionen überwiegend junge Menschen gingen 2019 in Deutschland zum „Klimastreik“ auf die Straße. Mobilisiert von der Bewegung Fridays for Future (FFF) forderten sie von der Politik endlich wirksame Maßnahmen zum Schutz des Klimas. Die Sorge um eine nachhaltige Zukunft, so schien es damals, war das wichtigste Thema und Anliegen einer ganzen Generation. Doch dann kamen Corona, der Ukrainekrieg und die große Energiekrise. Und vom Riesenthema Klimawandel redete plötzlich fast niemand mehr.
Krisenkonkurrenz für die Ampelkoalition
Unsere Umwelt, so scheint es, ist mittlerweile nur noch eine Krise von vielen. Und gefühlt aktuell nicht die wichtigste. Dabei ist das Thema dringender und drängender denn je. In diesem Jahr brachte der heißeste jemals gemessene Sommer dramatische Dürren, europaweit trockneten die Flüsse und Seen aus. Dazu kamen verheerende Waldbrände und weltweit immer häufiger Extremwetterlagen mit dramatischen Folgen.
Krieg und Krisen als Konkurrenz zum Klimaschutz. Und als ob das noch nicht reichen würde, machen in dieser Situation noch weitere Probleme Fridays for Future zu schaffen. Die Grünen sind maßgeblicher Teil der Ampelkoalition in Berlin. Wirtschaftsminister Robert Habeck und vor allem Außenministerin Annalena Baerbock taugen aus ökologischer Sicht im Vergleich zu früheren Regierungspolitikerinnen und -politikern viel weniger als Feindbilder. Die FFF-Demos wurden zu Corona teils ausgesetzt. Während sie nur schleppend wieder anliefen und die Teilnehmerzahlen weit unter denen der Vor-Corona-Zeit liegen, beanspruchen radikalere Klima-Mahnerinnen und -Mahner die öffentliche Wahrnehmung. So hat die Protestbewegung der „Letzten Generation“ zwar nur wenige Mitglieder. Aber die sind mit ihren spektakulären Aktionen in den Medien fast ständig präsent.
Sie kleben sich im Berufsverkehr auf Großstadtstraßen, organisieren Hungerstreiks oder stören Bundesligaspiele. Für viele Betroffene sind die Aktionen Nötigung, die Aktivistinnen und Aktivisten nennen es Notwehr. Henning Jeschke ist Mitgründer und wohl prominentestes Mitglied der „Letzten Generation“; seine öffentlichen Auftritte, ob vor Gericht oder als lautstarker Störer bei einer Olaf-Scholz-Veranstaltung, verschaffen dem 22-Jährigen bundesweite Aufmerksamkeit. Auf eine ähnliche Strategie setzt „Extinction Rebellion“, eine ursprünglich britische Klimaschutz-Organisation, die inzwischen international und immer öfter auch in Deutschland für Aufsehen sorgt.
Corona und Klimakrise: Hat Fridays for Future noch eine Zukunft?
Und Fridays for Future? Hat die einstige Massenbewegung ihre besten Zeiten hinter sich? Mit dem Jahr 2019 als Höhe- und Wendepunkt? Damals, als die Euphorie kaum Grenzen kannte und die Bäume für die Freundinnen und Freunde der Umwelt buchstäblich in den Himmel zu wachsen schienen. 2019, als die damals erst 16-jährige Ikone der Bewegung, Greta Thunberg, gerade einmal ein Jahr nach ihrer Idee, als Schülerin für das Klima zu streiken, als eine der Favoritinnen auf den Friedensnobelpreis galt. Als halb Deutschland über Braunkohle, Treibhausemissionen und die Erderwärmung diskutierte. Als es kaum eine Nachrichtensendung, kaum eine Talkshow ohne Fridays for Future gab und die jungen dynamischen Aktivistinnen und Aktivisten den etablierten Politikbetrieb nicht nur alt aussehen ließen, sondern regelrecht vor sich hertrieben.
Welche Auswirkungen hatte Corona auf Fridays for Future?
Bis Corona die halbe Welt und damit auch Fridays for Future zum Stillstand brachte. Schulstreik im Home-Schooling? FFF-Demos während Corona mit strengen Hygiene-Auflagen? Protest-Aktionen unter Pandemie-Bedingungen? „Corona war plötzlich allgegenwärtig“, sagt der Aktivist Ole Horn von Fridays for Future aus Halle 2021 im Interview mit dem MDR, „der Diskurs in den Medien war ein ganz anderer, das Klima hatte einen ganz anderen Stellenwert.“ Und: „Ein weiterer Faktor ist, dass viele Leute einfach unfassbar frustriert sind. 1,4 Millionen Menschen sind am 20. September 2019 in ganz Deutschland auf die Straße gegangen und haben gesagt: `Wir wollen nicht, dass die Politik so weiterarbeitet. Wir wollen Klimaschutz sehen.´ Das ist über ein Jahr her. Passiert ist nichts.“
Plötzlich war vieles möglich: Corona und die Klimakrise
Vielen Klimaschützerinnen und -schützern muss es wie eine Ironie der Geschichte vorgekommen sein: Ausgerechnet die Pandemie, von der sie aus den Schlagzeilen verdrängt wurden, machte plötzlich viele ihrer Forderungen möglich, die vorher von Politik und Wirtschaft belächelt und als realitätsfern zurückgewiesen worden waren. Flugzeuge, die am Boden blieben, der drastische Rückgang des Autoverkehrs, weniger Schadstoffe, die von der Industrie in die Luft geblasen wurden. Das Klima atmete buchstäblich auf – weltweit. In Indien verschwand der Smog über den Großstädten, in Venedig war das Wasser in den Kanälen plötzlich wieder klar.
Corona und die Klimakrise: Der Lockdown 2020 führte zu einer Minderung der globalen Treibhausgasemissionen um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die bislang größte beobachtete Reduktion. Und Deutschland gelang es, was vorher ziemlich unwahrscheinlich war, die für dieses Jahr vereinbarten Klimaziele zu übererfüllen. „Kann Veränderung also nur dann stattfinden, wenn konkrete Gefahr vor der Tür steht? Wenn nicht das Klima, sondern ein Virus anklopft?“, fragt Zukunftsforscher und Buchautor Tristan Horx. Und beantwortet sich die Frage selbst: „Wir sind besser als das. Diese Katharsis wird Konsequenzen haben. Als unveränderbar erklärte Systeme, Strukturen und Institutionen werden untersucht, hinterfragt und gesprengt werden.“ Er ist überzeugt: „Ohne eine Pandemie hätte es in Klimafragen vermutlich noch wesentlich länger gedauert, etwas zu bewegen.“
Fridays for Future während Corona
Aber um Fridays for Future wurde es während Corona immer ruhiger. Die freitäglichen Schulstreiks sind vielerorts eingeschlafen. Die Klimacamps, die es in vielen Großstädten gab, sind abgebaut. Ortsgruppen von FFF haben sich aufgelöst. Geblieben sind die Forderungen an die Politik. Es sind die gleichen wie vor Corona. Denn umgesetzt ist davon bislang keine einzige: Verbot von Neuwagen mit fossilen Verbrennungsmotoren ab 2025, garantierter Kohleausstieg bis 2030, Ausstieg aus Erdgas bis 2035 und im gleichen Jahr auch die „Nettonull“, also das Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland.
Neue Ideen und Strategien sind derzeit nicht in Sicht. Der „Spiegel“ sieht die Klima-Bewegung auch deswegen in der Krise, attestiert ihr Planlosigkeit und titelte zu dem Thema: „Ermattet, frustriert, orientierungslos.“ Fakt ist: Die Organisation ruft auf ihrer Website noch immer zu Demos und Klimastreiks auf. Und die Appelle haben noch immer eine gewisse Zugkraft. Zehntausende gingen 2022 in ihrem Namen auf die Straße, zuerst im März, dann im September, wieder zu den sogenannten Klimastreiks. Immerhin.
Krieg, Corona, Energiekrise: Klima gehört mit allem zusammen
Luisa Neubauer, inzwischen 26 Jahre alt, und prominentestes Aushängeschild der Jugendbewegung, tritt noch immer regelmäßig in Talkshows auf, wo sie Berufspolitikern und Lobbyisten die Leviten liest. Die Klimapolitik der Ampelkoalition nennt sie „bisher komplett beklemmend“. Im Deutschlandfunk sagte Neubauer: „Einerseits ist es natürlich dramatisch, dass in der Aufmerksamkeitsökonomie die Klimakrise noch viel zu oft als Subthema verstanden wird. Auf der anderen Seite erleben wir auch, und das ist neu, dass immer mehr und richtigerweise Themen verknüpft werden. Als in der Ukraine der Krieg dieses Jahr noch mal neu ausbrach, wurde ganz selbstverständlich über Energieversorgung und die Frage von Klimagerechtigkeit gesprochen.“ Das sei wichtig: „Es geht nicht darum, dass die ganze Zeit singulär nur über das Klima gesprochen wird, sondern dass verstanden wird: Klima hängt mit allem zusammen.“
Doch können sich die Deutschen in Zeiten von Rekordinflation und explodierenden Energiekosten tatsächlich für die FFF-Forderung nach einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz erwärmen? Luis von Randow, mit 16 Jahren bereits einer der Sprecher von Fridays for Future Berlin warnt im RBB davor, die Krisen – Krieg, Corona und Klima – gegeneinander auszuspielen. Er glaubt: „Krieg hat immer auch mit Klima zu tun. Und Klima mit Krieg.“ Deutschland habe sich jahrzehntelang in eine fossile Abhängigkeit gestürzt. „Als Klimabewegung ist es aktuell unsere Aufgabe, diese Verbindungen herauszuarbeiten.“ Der junge Aktivist sagt: „Bei uns ist die Luft noch lange nicht raus. Wir machen weiter wie bisher. Streiks sind der wesentliche Kern von Fridays for Future. Daran wird sich nichts ändern.“
Fridays for Future im Wandel
Was sich aber ändern dürfte, ist der Blick auf Fridays for Future. 2019 waren sie DIE Protestbewegung, neuartig und mit einer unglaublichen Mobilisierungsdynamik. Die Aktivistinnen und Aktivisten waren viel jünger als alle Protestierenden vor ihnen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sie waren weiblicher und sie waren, weitgehend ohne Hierarchie, dezentral vernetzt und organisiert. Drei Jahre, eine Pandemie und einige dramatische Krisen später steht fest: Die Klima-Unterstützerinnen und -Unterstützer haben ihre Ziele bislang nicht erreicht. Nur politische Splitterparteien vertreten ihre Forderungen. Und ob eines der wichtigsten Anliegen von FFF, das Pariser Klimaschutzabkommen, noch umsetzbar ist, gilt als völlig offen.
Doch die Proteste haben dafür gesorgt, dass das Thema Klima aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist. Auch wenn es nicht durchgehend ganz oben auf der Agenda steht. Erhebliche Teile der Politik und Wirtschaft haben verstanden, dass sie die junge Generation nicht erreichen werden, wenn sie Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht ernst nehmen. Das ist der große Verdienst von Fridays for Future.
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