

© shutterstock: Lincoln Melo
Die Zahlen sind mehr als alarmierend: Zwei Millionen Quadratkilometer intakte Wildnis wurden weltweit seit der Jahrtausendwende zerstört. Bis zu 58.000 Tierarten sterben jedes Jahr aus. Längst zeichnet sich ab, dass die schwindende Biodiversität ein mindestens ebenso großes Problem darstellt wie die Erderwärmung. Doch es gibt eine Lösung, mit der sich nicht nur bedrohte Arten, sondern auch unser Klima retten lässt: Rewilding.
Rewilding-Projekt für Europa
Die Natur regeneriert sich selbst – wenn man sie denn lässt. Dass dies in unseren Industrieländern fast nirgendwo der Fall ist, rief in den Niederlanden vier engagierte Männer auf den Plan. 2011 gründeten sie die Non-Profit-Organisation Rewilding Europe, die aktuell neun verschiedene Renaturierungsprojekte in Europa vorantreibt.
Eines dieser Projekte ist Rewilding Oder Delta im deutsch-polnischen Grenzgebiet. In dieser 4500 Quadratkilometer großen Region leben laut der Organisation u. a. Seeadler, Wolf, Biber, Wisent Kegelrobbe und Baltischer Stör. Besonders erfreulich ist die Rückkehr des Elchs, der sich seit einigen Jahren wieder in seiner früheren Heimat ansiedelt. Die Voraussetzungen dafür bereitete das Rewilding-Team.
Innerhalb der kommenden zehn Jahre will Rewilding Europe zehn bis 15 solcher Renaturierungsprojekte realisieren. Auf einer Fläche von 500.000 Hektar wird die Organisation mit ihren Partnern selbst aktiv. Die Gesamtfläche mit allen Landschaften und zukünftig auch Meeres- und Küstenökosysteme soll dann acht Millionen Hektar umfassen. Ehrgeizige Ziele, doch was genau passiert in diesen Projekten?
Wie funktioniert Rewilding?
Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass eine bloße Bewahrung der vorhandenen Natur nicht mehr genügt, sondern zerstörte Ökosysteme wiederhergestellt werden müssen. Dabei ist Rewilding salopp gesagt Hilfe zur Selbsthilfe für die Natur. Diese kann beschädigte Ökosysteme und Landschaften wiederherstellen. Dadurch entsteht eine reichhaltigere Flora und Fauna, formen natürliche Prozesse Land und Meer. Flächenversiegelung, intensive Landwirtschaft und Industrie stehen dem entgegen. Und selbst relativ naturnahe Gebiete sind von Artenschwund betroffen.
Die Organisation bereitet deshalb ihre betreuten Gebiete so auf, dass die Natur ihre Selbstheilungskräfte entfalten kann. Sie entfernt Deiche und Dämme, damit Flüsse wieder frei fließen können. Die aktive Bewirtschaftung von Wäldern und Wildtierpopulationen wird eingestellt. Zudem siedelt Rewilding Europe heimische Wildtierarten wieder an, die durch menschlichen Eingriff verschwunden waren.
Gut auch für die Menschen
„Wenn die Natur gesund ist, sind auch wir gesünder“, heißt es bei Rewilding Europe. Saubere Luft, reines Wasser und naturbelassene Nahrung halten uns geistig und körperlich fit. Es geht darum, „eine moderne Gesellschaft – sowohl auf dem Land als auch in der Stadt – wieder mit der wilden Natur zu verbinden“.
Dabei denkt Rewilding Europe auch an die Menschen, die sich durch Renaturierung ihrer Einkommensquellen beraubt sehen – Landwirte und Waldbesitzer etwa. Wo es an Alternativen mangelt, soll die lokale Wirtschaft angekurbelt werden. „Wir streben Situationen an, in denen der Naturtourismus floriert und die Menschen vor Ort einen fairen Lebensunterhalt durch naturbasierte Unternehmen verdienen. Dies wird dazu beitragen, sowohl ländliche als auch städtische Gemeinden wiederzubeleben.“
Die umfassende Wiederherstellung der Natur nach ihren Prinzipien sollte laut Rewilding Europe ein vorrangiges Ziel der EU-Politik sein. Die Europäische Kommission hat auch bereits Pläne gefasst.
Biodiversitätstrategie 2030
„Die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ist ein umfassender, ehrgeiziger und langfristiger Plan zum Schutz der Natur und zur Umkehrung der Schädigung der Ökosysteme“, heißt es auf der Seite der Europäischen Kommission. Damit will sie die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften gegenüber künftigen Bedrohungen stärken: Auswirkungen des Klimawandels, Waldbrände, Ernährungsunsicherheit, Seuchenausbrüche. Letzteres soll durch besseren Schutz von Wildtieren und -pflanzen und die Bekämpfung des illegalen Artenhandels erreicht werden.
„Durch eine Reihe konkreter Verpflichtungen und Maßnahmen will die EU geschädigte Ökosysteme bis 2030 wiederherstellen und nachhaltig bewirtschaften und dabei die Hauptursachen des Verlusts an biologischer Vielfalt angehen.“ Denn 80 Prozent der Natur-Lebensräume sind in einem schlechten Zustand. Mit der Erhöhung der Artenvielfalt will die EU gleichzeitig die „kostenlosen Leistungen der Natur sichern“ wie Reinigung von Luft und Wasser, Bestäubung von Pflanzen und Schutz vor Überschwemmungen.
Rewilding-Engagement vor Ort
Vollkommen unabhängig von EU-Plänen und außerhalb der Rewilding Europe-Gebiete kann jeder selbst aktiv werden und seinen Teil zur Renaturierung und Wiederbelebung der biologischen Vielfalt beitragen.
Ganz viele Gedanken dazu hat sich die frühere GEO-Redakteurin Johanna Romberg gemacht. Für ihr Buch Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht besuchte sie Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise für die Rettung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen.
Bei ihren Recherchen kam ihr die Idee für eine Bürgerbewegung. Sie könnte vielleicht „Mondays for Nature“ heißen, doch lassen wir die Autorin selbst zu Wort kommen. In ihrem Buch schreibt sie:
„Beim Anblick der Seeschwalben von Brodowin, im Sommer vor drei Jahren, hatte ich die Idee zum ersten Mal. Sie hat mich seitdem nicht mehr losgelassen und während der Arbeit an diesem Buch immer mehr Gestalt angenommen. Sie ist, das sollte ich vorsorglich betonen, wirklich nicht mehr als eine Idee, eine Wunschvorstellung, die bislang ausschließlich in meinem Kopf existiert. Ich habe ihr dennoch schon mal einen Namen gegeben: »Mondays for Nature«. So könnte sie heißen, die neue Bürgerbewegung für eine Wiederbelebung der biologischen Vielfalt. »Wiederbelebung« deshalb, weil die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass die Bewahrung des Status quo, der bloße Schutz der Natur, längst nicht mehr ausreicht.
Mondays for Nature soll erreichen, wovon wir naturbegeisterten Menschen bislang nur träumen: dass die Vielfalt heimischer Wildtiere und Pflanzen, von den Hotspots ausgehend, wieder ganz Deutschland und im Idealfall auch Europa zurückerobert. (Den Rest der Welt lasse ich hier beiseite, weil meine Idee einer solchen Bewegung, ebenso wie dieses Buch insgesamt, vor allem den Nahbereich in den Blick nimmt.)
Das ist mein Traum: dass Seeschwalben, Biber, Flussperlmuscheln, Mehlprimeln, Goldregenpfeifer, Braune Bären, Rotbauchunken, tausendjährige Eichen und andere Kronjuwelen unserer heimischen Artenvielfalt nicht mehr nur in wenigen behüteten Schatzkästchen überleben, sondern wieder Teil unserer alltäglichen Umwelt werden. Dass jeder und jede die Fülle der heimischen Natur wieder vor der eigenen Haustür erleben kann – egal ob dieses Haus in einem Großstadtviertel, einem Biosphärenreservat oder inmitten eines intensiv bewirtschafteten Raps- und Maisanbaugebiets liegt.“
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