Kohlebergbau von oben

© shutterstock: Mark Agnor

Bundeswirtschaftsminister Habeck kündigte die Verlängerung zweier Braunkohlekraftwerke und im selben Atemzug den Ausstieg aus der Kohle in Nordrhein-Westfalen bis 2030 an. Doch wie passt das zusammen? Energie-Expertin Anna Veronika Wendland ist sich im Gespräch mit Clemens Traub (von Cicero) sicher: Der Kohleausstieg sei in einer Zeit großen Energiemangels reine Augenwischerei, die das grüne Wählerklientel besänftigen solle.

Frau Wendland, Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündete diese Woche, dass Nordrhein-Westfalen vorzeitig im Jahr 2030 aus der Kohleindustrie austeigen soll. Gleichzeitig werden zwei Braunkohle-Kraftwerksblöcke von RWE bis 2024 verlängert. Wie passt das zusammen?

Das ist Symbolpolitik. Der vorgezogene Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2030 in Nordrhein-Westfalen wurde ja schon im schwarz-grünen Koalitionsvertrag festgehalten, allerdings vor der Kriegs- und Energiekrise. Nun wird es im Schaufenster präsentiert, damit die gleichzeitige Verlängerung zweier klimaschädlicher RWE-Kraftwerke in Vergessenheit gerät. Dadurch soll die bittere Pille etwas verdaulicher gemacht werden. Habeck möchte es sich nicht mit der Stammwählerschaft der Grünen und den engagierten Klimaaktivisten im Rheinischen Revier verscherzen.

Warum schauen die Grünen derart auf die Befindlichkeiten radikaler Klimaschützer, die in unserem Land nur eine kleine gesellschaftliche Minderheit darstellen?

Die Grünen greifen die Symbolik und den Widerstandsgeist der heutigen Klimaschutzbewegung gerne auf, weil sie das an ihre eigenen Gründungstraditionen erinnert. Die Partei entstammt ja einer außerparlamentarischen Bewegung gegen Atomkraft und andere Industrieprojekte. Doch letztlich nutzen die Grünen, die heute in der Bundesregierung sitzen, die Klimaschützer auch als Fassade. So können sie von den Widersprüchen und Versäumnissen der grünen Realpolitik in den letzten Jahren ablenken. 

Wie realistisch ist das Versprechen, dass die Kohleförderung im Rheinischen Revier bereits 2030 enden soll?

Wir werden es bis 2030 sehr wahrscheinlich in Nordrhein-Westfalen nicht schaffen, aus der Kohle auszusteigen. 

Warum nicht?

Erneuerbare Energien sind volatil und brauchen daher gesicherte Kraftwerksleistung im Hintergrund – oder Speicher. Durch den Angriffskrieg in der Ukraine scheidet russisches Erdgas als zentrales und kostengünstiges Backup für die Erneuerbaren aus. Das aber war Habecks Plan: Das Gas sollte in die Funktionsstelle der Kernenergie und Kohle rücken, bis die Erneuerbaren und die Speicher so weit seien. Im Grunde ist diese Brückenstrategie infolge des russischen Krieges zusammengebrochen. Dass jetzt verzweifelt Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden, ist eine direkte Folge.

Wird es daher zwangsläufig zu einem Bruch des Kohleausstieg-Versprechens kommen müssen?

Die jetzige Bundesregierung hat bereits alle möglichen Klimaversprechungen gebrochen und wird auch dieses Versprechen brechen – oder eine Nachfolgeregierung wird es tun, wenn sich die Energiepolitik nicht ändert. Die Ampel-Koalition steht aufgrund einer grundfalschen Energiestrategie wieder und wieder vor dem Problem, das Klimaziel gegen die Versorgungssicherheit ausspielen zu müssen. In diesem Zwiespalt wird sich die Regierung am Ende aber immer für die deutsche Wirtschaft und die Versorgungssicherheit entscheiden. Das ist angesichts gigantischer Energiepreise und bedrohter Arbeitsplätze derzeit auch nachvollziehbar. Eigentlich aber müsste die gesamte Energiewende auf den Prüfstand. 

Hätte das Problem nicht schon früher erkannt werden können?

Bereits die Regierung Merkel hätte die Energiewende auf den Prüfstand stellen müssen, als man 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnete. Schon damals zeichnete sich ab, dass die Idee, zuerst aus der klimafreundlichen Atomkraft und dann erst aus der Kohle auszusteigen, das Klimaziel gefährden würde – von der wachsenden Abhängigkeit von russischem Gas ganz zu schweigen.

Gibt es einen Weg, wie wir auf Kohlekraft verzichten können, ohne einen Wohlstandsverlust erleiden zu müssen?

Den gibt es schon, aber den will noch keiner so richtig ins Auge fassen. Man könnte nämlich den Ausbau der Erneuerbaren mit einer Rückkehr zur Kernenergie zusammenspannen. So könnten wir den Spagat zwischen Klimaschutz und Versorgungssicherheit schaffen. Der vor kurzem entschiedene Streckbetrieb für zwei der drei verbleibenden Kernkraftwerke ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Was wir brauchen, ist eine systematisch geplante Laufzeitverlängerung aller noch betriebsfähigen sechs Kernkraftwerke, eigentlich auch ein Neubau von Anlagen. Nur die sind nämlich in der Lage, Kohlekraftwerke wirklich zu verdrängen. Ein Atomkraftwerk produziert nicht nur dieselbe Menge Strom wie mehrere Kohleblöcke, es ersetzt diese Blöcke auch als gesicherte, planbare Leistung. 

Warum zieht die Bundesregierung das nicht in Betracht?

Das geschieht nicht aus technischen und wirtschaftlichen Gründen – technisch und ökonomisch war die Kernenergie in Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Es liegt vielmehr an der Vorfestlegung grüner und sozialdemokratischer Politiker, dass die Atomenergie etwas Böses und Gefährliches sei. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das jedoch nicht haltbar. Die Kernenergie ist eine Niedrigrisikoindustrie, das heißt, sie erleidet nur sehr selten Unfälle. Doch die wenigen, die geschahen, haben großen Schaden angerichtet. Die Atomkritiker schauen nun nur auf Tschernobyl und Fukushima, nicht aber auf die unauffälligen deutschen Kernkraftwerke. Es dominiert in der Energiepolitik also die Risikowahrnehmung über die Risikorealität.  

Das Dorf Lützerath gilt vielen Klimaschützern als ein Symbol des Widerstands. Habeck kündigte gestern einerseits an, dass es für die Kohleindustrie abgebaggert werden soll, und bedankte sich andererseits für das große Engagement der Klimaschützer. Ist das nicht ein Widerspruch?

Das ist eben typisch Habeck. Der Bundeswirtschaftsminister ist ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, und er will weiter die Geschichte von den Grünen als Klimaschutzpartei erzählen und die Klimabewegung an seine Partei binden. Daneben ist Habeck aber auch ein Machtpolitiker, der weiß, dass Lützerath ein Symbol für Authentizität ist. Es soll das Bild einer Art Volkswiderstand heraufbeschwören, wie seinerzeit in Gorleben oder in Wackersdorf. Doch das Dorf ist längst aufgegeben, mittlerweile leben dort ausschließlich Klimaaktivisten, die wenig Kontakt mit den Einheimischen dieser Region haben. 

Auf Twitter schreiben Sie in diesem Zusammenhang, dass die Klimabewegung „ökoreaktionär“ anstatt „emanzipatorisch-technisch“ sei. Wie meinen Sie das?

Ich komme selbst aus der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er-Jahre, und politisch stehe ich links. Doch sehr viele Aktivisten von Extinction Rebellion oder Fridays for Future orientieren sich eher an einem bürgerlichen Ökoromantizismus. Sie lehnen die hoch urbanisierte Industriegesellschaft als degeneriert ab. Das sich durch erneuerbare Energien selbstversorgende Dörfchen, die lokalen Wertschöpfungsketten, der Biolandbau, der Degrowth-Gedanke, mitunter auch neo-malthusianische Gedanken von der Weltbevölkerung, die dieser Planet nicht mehr „tragen“ könne, gehören dazu. 

Sie stehen also auch den Fortschritten der Technologie kritisch gegenüber?

Das trifft auf die deutsche Klimabewegung absolut zu. Kerntechnik und Gentechnik lehnen sie beispielsweise als autoritäres Herrschaftswerkzeug oder unbeherrschbares Teufelszeug ab, dagegen stellen sie Vorstellungen einer „sanften“, angeblich wenig komplexen Technik. Abgesehen von dem Widerspruch, dass inzwischen auch die Erneuerbaren eine knallharte Hightech-Großindustrie sind, werden diese Leute auch von Konservativen häufig falsch eingeordnet. 

Wie meinen Sie das?

Sie sind keine Sozialisten oder Marxisten. Echte Marxisten würden Kernkraftwerke fordern, als fortschrittlichstes, leistungsdichtestes Produktionsmittel. Allerdings sozialisierte Kernkraftwerke. 

Und was bedeutet „emanzipatorisch-technisch“?

Wenn wir ins Ausland schauen – Frankreich, Polen, Großbritannien, USA –, sind es häufig klassische Linke, die aus Klimaschutzgründen die Entwicklung der Atomenergie fordern. Das ist in Deutschland – noch – unvorstellbar. Doch ich setze darauf, dass sich das mit der Ernüchterung über die real existierende Energiewende ändern wird. Eine emanzipatorisch-technische Position wäre: rigorose Ausrichtung an den Bedürfnissen der Schwachen, die bislang die Verlierer der Energiewende sind, Solidarität, Energieversorgung als Gemeingut, Nutzung aller klimafreundlichen Technologien. Dann müssen auch Industriegesellschaft und Klimaschutz keinen Widerspruch darstellen.

Die deutsche Klimabewegung hält aber offensichtlich nicht viel von der Industriegesellschaft, sondern träumt von „Degrowth“ und Deindustrialisierung. Woher kommt das?

Eine überwältigende Mehrzahl der Klimaschützer und Grünen in Deutschland ist im Bürgertum und Kleinbürgertum verwurzelt und hier wiederum mit einem starken Anteil des Bürgertums im öffentlichen Dienst. Naturromantik, Moderne- und Technikkritik waren schon immer stark ausgeprägt in diesem Milieu. Hinzu kommt: Die grünen Politiker und gymnasial-studentischen Aktivisten haben, bis auf wenige Arbeiterkinder, kaum noch Kontakt mit den Lebenswelten der Industriebeschäftigten, des Handwerks oder der Bauern. Was man nicht kennt, erscheint verzichtbarer, aber auch fremd. Ich habe das selbst auch erst verstanden, als ich lange Jahre als Forscherin in Kernkraftwerken unterwegs war – ich kannte diese Lebenswelten vorher nicht.

Was würden Sie Luisa Neubauer in einem persönlichen Gespräch raten?

Klebt euch vor dem Atomkraftwerk Isar 2 fest, um es zu retten (lacht). Aber nun ernsthaft: Ich würde ihr raten, mit Fridays for Future in einen neuen Diskussionsprozess einzutreten. Die Bewegung sollte ihre eigene soziale Position und ihre Privilegien stärker reflektieren, aber auch ihre Natur- und Technikvorstellungen. Und sie sollte ihr energiepolitisches Konzept auf den Prüfstand stellen und aus der Wohlfühlzone ausbrechen. Mit einem solchen Diskussionsprozess könnte sie auch die Impulse aus Polen oder Finnland aufnehmen, wo die Klimabewegung ganz anders tickt. Dort hat man aus der Bezugnahme auf die Wissenschaft auch neue Positionen entwickelt und die traditionsgrünen Ressentiments über die Kernenergie abgelegt.​

Das Interview wurde am 7. Oktober 2022 geführt und ist zunächst im Cicero erschienen:
https://www.cicero.de/innenpolitik/habeck-kohle-nordrheinwestfalen-atomkraft-grune-fridaysforfuture-energiepolitik

 

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