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Technokraten „verstehen Gesellschaften als soziale Mega-Maschinen und wollen sie auch wie solche managen“, erläutert Handelsblatt-Redakteur und Bestseller-Autor Norbert Häring (Endspiel des Kapitalismus). Wie auch demokratische Staaten das Instrumentarium autokratischer Regierungen nutzen und beispielsweise ein digitaler Euro dazu beitragen kann, verrät uns Häring in dieser Artikelserie.

Im zweiten Teil widmet sich Norbert Häring den drohenden Gefahren durch digitalen Euro und Sozialkreditsystemen.

Digitaler Euro als smarter Bezugsschein

Die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet schon länger an einem digitalen Euro und die EU-Kommission will bereits im ersten Quartal 2023 die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass dieser als gesetzliches Zahlungsmittel ausgegeben werden kann.

Ein digitaler Euro ist digitales Geld von der Zentralbank mit dem gleichen rechtlichen Status wie Bargeld. Die Einführung eines digitalen Euro würde bedeuten, dass wir alle direkt oder indirekt Zugang zu solchem digitalen Zentralbankgeld bekämen und damit bezahlen könnten. Das könnte entweder direkt sein, per Jedermannkonto bei der Zentralbank, oder indirekt, indem Finanzdienstleister Treuhandkonten für uns verwalten, über die unsere Transaktionen in digitalen Euro abgewickelt werden.

Mit einem Zahlungsverkehr, der auf dem digitalen Euro beruht, schaltet sich der Staat als zentraler Mittelsmann in jede Transaktion ein – zumindest potentiell. Er kann sich jederzeit den Komplettzugriff auf alle unsere Zahlungen verschaffen.

Der digitale Euro soll programmierbar sein. In den digitalen Euro soll man etwa hineinprogrammieren können: „Überweise, wenn Frau x laut Passagiererfassung von Busunternehmen y einen Kilometer in dessen Bussen zurückgelegt hat, 50 Cent von ihrem Konto auf das des Busunternehmens, und dann 25 Cent für jeden weiteren Kilometer. Der Datenfluss zur zentralen Stelle ist ein Traum jedes Smart-City-Strategen – und jedes Sozialingenieurs.

Digitaler Euro zur gesellschaftlichen Feinsteuerung

Wenn der digitale Euro mit einer „Identitätslösung“ verbunden ist, so wie die EU-Kommission das beschreibt, dann sind der gesellschaftlichen Feinsteuerung kaum noch Grenzen gesetzt. Im Rahmen des Programms ID2020 sollen weltweit alle Menschen bis 2030 eine biometrisch-digitale eindeutige Identität bekommen. Diese erlaubt es, alle relevanten Informationen über eine Person automatisch unter einer eindeutigen Identifikationsnummer zu sammeln. So wissen die Computerprogramme genau, wer wer ist, wer wie viele abhängige Haushaltsmitglieder und sonstige Bedarfe hat, und alles andere, was sie wissen müssen. Das kombiniere man nun mit einem programmierbaren Geld.

Dann kann man einprogrammieren, dass Frau x, weil sie wenig gesundheitsbewusst und teuer für das Gesundheitssystem ist und ihr Energieverbrauch den Normwert überschreitet, einen Aufschlag von 20% für jede Kilowattstunde über dem Normwert und für Produkte mit roter Ernährungsampel zahlt. Der Aufschlag wird automatisch an den Staat, die Krankenkassen oder die Ukraine überwiesen. Sollte sie aber ausweislich ihrer Fitbits oder Smartphone-Apps künftig eifrig Sport treiben und ausweislich ihrer Waage Gewicht verlieren, winkt eine Lockerung.

Wenn jedem Produkt von schlauen Experten eine durch Herstellung, Vertrieb und Gebrauch verursachte Menge CO2 zugewiesen wird, kann man für jede Bürgerin ein CO2-Budget programmieren, das sie mit seinen Käufen nicht überschreiten darf, oder ab dem für sie alles 10, 20 oder 50 Prozent mehr kostet. Der Aufschlag fließt in das Budget des Umweltministers.

Digitaler Euro und ein Sozialkreditsystem auf Steroiden

Der programmierbare digitale Euro ermöglicht ein Sozialkreditsystem auf Steroiden.

Mit einem digitalen Euro als smartem Zuteilungssystem kann man aber auch auf positive und negative Anreize ganz verzichten, weil man das Verhalten direkt steuern kann. Frau x kann auch gleich verunmöglicht werden, Nahrungsmittel mit roter Ampel zu kaufen.

Sage niemand, es sei eine absurde Vorstellung, dass bei uns so etwas eingeführt werden könnte. In Australien und in Indien bekommen Sozialhilfeempfänger ihre Stütze digital, mit einprogrammierten Begrenzungen, was sie damit kaufen können und was nicht.

Die Lebensmittelknappheit aufgrund des Ukraine-Kriegs hat dazu geführt, dass wir uns Rationierungen wieder vorstellen können. Auch dabei könnte der programmierbare digitale Euro hervorragende Dienste leisten. Denn er ist so etwas wie ein smartes Bezugsscheinsystem. Pro Konto und Woche nur eine Packung Klopapier und eine Flasche Sonnenblumenöl, lässt sich einfach zentral einprogrammieren. Dasselbe bei Brot, Milch, Eiern, Benzin, Strom und jedem anderen Produkt, das knapp ist oder knapp zu werden droht. Mit digitalem Geld und leistungsstarken Computerprogrammen, die mit vielen Daten gefüttert werden, lässt sich eine zentralisierte Planwirtschaft sehr gut umsetzen.

Von China lernen – Von der Kreditwürdigkeit zum Sozialkredit

Das Sozialkreditsystem hat nicht von ungefähr den „Kredit“ im Namen. Es ist eine Erweiterung der Kreditwürdigkeitsprüfung aus dem Finanzwesen. Es geht um einen Vertrauensvorschuss. Bevor die Banken jemand Kredit geben, wollen sie sicher sein, dass sie Zins und Tilgung zuverlässig bekommen.

Kreditauskunfteien sammeln zu diesem Zweck alles, was sie an Informationen über eine Person sammeln dürfen, und ermitteln daraus einen Punktewert für die Kreditwürdigkeit. In Europa ist das wegen der Datenschutzregeln weitgehend auf Finanzinformationen begrenzt. Hat man schon Kredite aufgenommen und brav abbezahlt, wie viel Geld hat man auf dem Konto usw.

In anderen Ländern, wo die Regeln weniger streng oder inexistent sind, nutzen Kreditgeber oder Kreditauskunfteien alles, was sich sammeln lässt. Vom Auftreten der Person in den sozialen Medien bis zu ihren Konsumgewohnheiten, ob sie etwa zu viel Zeit mit Computerspielen verbringt.

China hat das in Pilotprojekten zu Sozialkreditsystemen ins Extrem getrieben und in einen schlechten Ruf gebracht. Zumindest bei uns wird sehr kritisch darüber berichtet. In der Bevölkerung Chinas selbst scheint das Sozialkreditsystem dagegen beliebt zu sein.

Ein privates Projekt mit öffentlichem Segen war Sesame Credit, ein zum Sozialkreditsystem erweitertes Kreditwürdigkeitsranking der Alibaba Group, einem Konzern, der das Bezahlsystem Alipay und führende Online-Handelsplattformen betreibt. Auch andere Internetgiganten wie Tencent betreiben solche Systeme. Für ein gutes Ranking waren Berichten zufolge neben vielen privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen auch staatliche und halbstaatliche Privilegien zu bekommen.

Sozialkreditsystem auch im Westen salonfähig?

Trotz des schlechten Rufs der chinesischen Sozialkredit-Experimente sprechen sich Organisationen wie der Weltwährungsfonds und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich für eine Ausweitung der Kreditwürdigkeitsratings in Richtung Sozialkredit aus. Als Argument wird vorgebracht, so könnten Menschen, die keine Kredithistorie haben auch ihre Kreditwürdigkeit beweisen und an Kredit kommen.

Das ist eine Argumentation, die jüngst in einer in der führenden Fachzeitschrift „Journal of Finance“ veröffentlichten Studie widerlegt wurde. Die Autoren zeigen, dass einer Minderheit aus der Gruppe der Benachteiligten, deren Situation sich tatsächlich verbessert, eine Mehrheit aus derselben Gruppe gegenübersteht, deren Kreditwürdigkeit und damit deren Chancen an (günstigen) Kredit zu kommen, sich weiter verschlechtern.

Deutsche und europäische Machbarkeitsstudien

Doch staatliche Stellen lassen unbeirrt untersuchen, was man in Sachen Sozialkredit von China lernen kann. So lässt das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation ein Forschungsteam das Thema untersuchen: „Vom ‚Vorreiter‘ lernen? Eine multidisziplinäre Analyse des chinesischen Sozialkreditsystems und seiner Auswirkungen auf Deutschland“.

An der Universität Wien wird mit Förderung von knapp zwei Millionen Euro von der EU-Kommission untersucht, wie man mit einem Sozialkreditsystem „eine vertrauenswürdige Gesellschaft errichten“ kann. Projektleiter Christoph Steinhardt schreibt:

„Das Social Credit System (SCS) ist ein ehrgeiziges Social-Engineering-Projekt des chinesischen Staates mit dem Ziel, eine vertrauenswürdigere Gesellschaft zu schaffen. Es sammelt Informationen von allen Bürgern, Unternehmen und Organisationen und versucht, das Verhalten durch Anreize und Strafen zu steuern. Das SCS stellt langjährige wissenschaftliche Annahmen über die Rolle des Staates bei der Steuerung des sozialen und wirtschaftlichen Austauschs in Frage.“

Ein ebenso gut ausgestattetes Schwesterprojekt untersucht, wie die kommunistische Einparteienregierung es auch ohne Demokratie schafft, den Bürgerwillen aufzunehmen und Aufstände zu verhindern.

Wohl nicht ganz zufällig arbeiten sowohl die Stadt Wien, als auch die Bayerische Staatsregierung an Pilotprojekten zu einfachen Sozialpunktesystemen zur Erziehung der Bürger zu tugendhaftem Verhalten. Man scheint tatsächlich anwenden zu wollen, was man meint, vom Vorreiter lernen zu können.

Lesen Sie in Teil 3 (Technokratische Führung durch die Hintertür) der vierteiligen Artikelserie Die soziale Mega-Maschine, wie China Gesundheitspässe missbraucht und welch ähnliche Gefahren in der EU drohen.

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