

Insbesondere Kindermedikamente fehlen in deutschen Apotheken. © shutterstock
Das Arbeiten in der Apotheke macht momentan keinen großen Spaß. Ständig muss man verzweifelte Menschen wegschicken, weil man ihnen ihre verordneten Arzneimittel nicht geben kann. Nicht lieferbar. „Können Sie es dann wenigstens bestellen?” „Nein, leider nicht.” „Und von einer anderen Firma?” „Leider ist es von keiner Firma lieferbar. In keiner Packungsgröße!”
Fiebersaft für Kinder? Leider nicht lieferbar
Ganz schlimm ist das bei Eltern, deren kleines Kind einen Infekt hat und dringend einen Fiebersaft – also entweder einen Saft mit Paracetamol oder Ibuprofen – braucht. Beides nicht lieferbar. Hin und wieder landen zwar ein paar Flaschen in der Apotheke, aber zeitnah bestellen, können wir sie nicht. Und wenn sie dann mal da sind, sind sie dann auch relativ schnell wieder weg. Man kann also Glück haben, wenn man verschiedene Apotheken abklappert. Manche Apotheken stellen die Säfte dann einfach selbst her. Die kosten dann natürlich wesentlich mehr, aber man hat dann wenigstens etwas. Wird der Saft verordnet, bezahlt ihn auch die Krankenkasse.
Um die Säfte herzustellen, braucht man natürlich ausreichend Personal. Das ist allerdings in vielen Apotheken ein Problem, vor allem, weil wegen der vielen Infekte eben auch mehr Menschen in die Apotheken stürmen und man so alle Mann und Frau an Deck braucht.
Leider kann man auch nicht einfach auf die Ibuprofen- oder Paracetamol-Zäpfchen für Kinder umsteigen, weil: Nicht lieferbar!
Die Maskenpflicht komplett abzuschaffen, ist unverantwortlich
Corona hin und her, wenn die Leute an sinnvollen Orten alle korrekt Masken tragen würden, wären die Kinderarztpraxen nicht überfüllt und das Problem mit den Fiebersäften nicht ganz so schlimm. Stattdessen wird in dieser Ausnahmesituation lieber darüber diskutiert, die Maskenpflicht komplett abzuschaffen. Unverantwortlich.
Das geht nun schon seit rund einem halben Jahr so. Aber so schlimm wie derzeit, war es in den letzten zehn Jahren nicht. Mindestens.
Mittlerweile gibt es für die Kleinen noch nicht mal mehr Antibiotikasäfte. Es ist eine Katastrophe.
Keine Elektrolyte weit und breit – der Grund: TikTok
Das gleiche Spiel mit den Elektrolyten, die man bei Durchfall einnehmen sollte. Gerade bei kleinen Kindern und älteren Menschen kann der Wasser- und Elektrolytverlust bei Durchfall gefährlich werden. Aber die Elektrolyte sind auch seit etwa einem halben Jahr nicht mehr in den Apotheken gesehen worden. Der Grund: TikTok. Irgendwelche Tiktoker haben empfohlen, Elotrans einzunehmen, damit man vom Saufen keine Kopfschmerzen bekommt. Nachdem Elotrans ausverkauft war, kauften sie Oralpädon. Danach andere Elektrolyte. Alles weg.
Und es sind nicht nur diese Arzneimittel, es sind viele, viele weitere. Wenn uns ein Kunde ein Rezept in die Hand drückt, bearbeiten wir es. Das heißt, wir schauen, was der Arzt aufgeschrieben hat und versuchen primär ein für die Krankenkasse rabattiertes Arzneimittel abzugeben. Falls dies nicht lieferbar ist, das nächst günstigste. Natürlich müssen die Arzneimittel dabei aut idem sein, das heißt, sie müssen den gleichen Wirkstoff in der gleichen Stärke enthalten. Normalerweise geht das alles relativ schnell. Aktuell hört man von den Kunden aber immer wieder die Frage „Warum dauert das solange?”
Wie groß ist der deutsche Arzneimittelmarkt?
2021 hat die Pharmabranche in Deutschland laut Statista 53,6 Milliarden Euro mit Medikamenten umgesetzt. Auf die Apotheken entfallen davon 86 Prozent, also rund 46,1 Milliarden Euro, der Rest auf Kliniken. Deutschland ist der viertgrößte Pharmamarkt der Welt.
Wie teuer sind Medikamente hierzulande im internationalen Vergleich?
Laut einer Studie des britischen Unternehmens Medbelle aus dem Jahr 2019 zahlen deutsche Patienten nach denen in den USA die zweithöchsten Preise weltweit.
Warum kommt es zu Lieferschwierigkeiten bei Medizin?
Die Festpreise, zu denen die Krankenkassen insbesondere Generika, also patentfreie Arzneimittel, kaufen, sind so gering, dass es sich mitunter für die Hersteller von Arnzeimitteln nicht lohnt, für den deutschen Markt zu produzieren.
Der Gesundheitsminister zu den Festpreisen für Medikamente
Karl Lauterbach geht davon aus, dass die Preise für patentfreie Medikamente in Deutschland teilweise so niedrig sind, dass sich die Herstellung für den deutschen Markt nicht lohnt. Daher hat er veranlasst, die vereinbarten Festpreise, den die Krankenkassen für diese Azneimittel zahlen, stark erhöhen.
Es wird eher schlimmer als besser
Ja, warum dauert es solange? Es dauert solange, weil wir eben nicht immer einfach eines der rabattierten Arzneimittel auswählen können, sondern von allen möglichen Varianten, ob rabattiert oder nicht, die Lieferfähigkeit prüfen müssen. Mit anderen Worten: Bekomme ich irgendein Präparat von irgendeiner Firma mit diesen Wirkstoffen her? Vielleicht in einer anderen Packungsgröße oder einer anderen Wirkstärke. Das dauert eben seine Zeit. Zum Glück ist das nicht bei allen Arzneimitteln so. Noch nicht. Momentan wird es aber eher schlimmer als besser.
Ibuprofen und Paracetamol herzubekommen wird in Zukunft möglicherweise noch schwieriger werden. In China explodieren die Corona-Fälle, nachdem man die Beschränkungen gelockert hat und lieber auf Eigenverantwortung setzen wollte. Folglich werden mehr Ibuprofen und Paracetamol benötigt. Anstatt die beiden Wirkstoffe weiterhin zu exportieren, wird China sie in der nächsten Zeit importieren müssen. Welche Auswirkungen das auf Deutschland haben wird, ist noch nicht klar. Wir beziehen das meiste wohl aus Indien. Ibuprofen auch aus den USA.
Wir sollten Medikamente in Deutschland herstellen
Warum produzieren wir also nicht einfach in Deutschland was wir brauchen und machen uns stattdessen abhängig von anderen Ländern? Andere Länder produzieren die Arzneistoffe in der Regel billiger. Und billiger ist das, was die Krankenkassen wollen. Damit ist dann auch der Bogen zu den Rabattverträgen geschlagen.
Schuld an dem Lieferengpass für die Paracetamol-haltigen Säfte zum Beispiel sollen die seit Jahren gleichbleibenden Festbeträge sein, die bei insgesamt gestiegenen Kosten ein Problem für die Hersteller darstellen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ordnet Arzneimittel einer Festbetragsstufe zu, was zur Folge hat, dass die Krankenkassen nur einen bestimmten Betrag für ein Arzneimittel erstatten: Den Festbetrag. Das heißt, entweder akzeptiert der Hersteller den Preis oder er hat eben Pech gehabt. Und letztendlich wir.
Die Firma 1A Pharma stellte bisher Paracetamol-Säfte für den deutschen Markt her. Aus den oben genannten Gründen tut sie das aber seit Mai 2022 nicht mehr. Den Bedarf in Deutschland müssen nun Ratiopharm und Bene alleine decken, was bisher noch nicht so gut gelungen ist.
Dass die Krankenkassen sparen müssen, ist verständlich. Wenn ein Originalpräparat beispielsweise 300 Euro und ein Generikum nur 40 Euro kostet, kann man schon verstehen, warum sie nicht das für 300 Euro bezahlen wollen. Allerdings sollten die Festbeträge hin und wieder mal angepasst werden, damit sich die Firmen eben nicht vom Markt zurückziehen, weil es sich für sie einfach nicht mehr lohnt, diese Arzneimittel herzustellen.
Homöopathie verursacht sinnlose Kosten
Ein verrückter Gedanke, aber wie wäre es, wenn die Krankenkassen nur noch die Arzneimittel erstatten würden, die auch eine nachgewiesene Wirkung haben? Damit ließen sich sinnlose Kosten einsparen. Homöopathische Mittelchen werden zum Beispiel von den Krankenkassen bezahlt, wenn ein Arzt sie für ein Kind verordnet hat. Das liegt daran liegt, dass diese pseudomedizinischen Mittelchen rechtlich den Status eines Arzneimittels haben. Dafür gibt es allerdings keine Rechtfertigung, denn die Homöopathie hat keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Das eingesparte Geld könnte dann in richtige Arzneimittel fließen.
Wir werden sehen, was die Zukunft bringen wird und wie Lieferengpässe vermieden oder zumindest reduziert werden sollen. Gesundheitsminister Lauterbach plant derzeit, die Preisregeln für Kinderarzneimittel zu ändern, sodass das Herstellen der jeweiligen Arzneimittel für die Hersteller attraktiver wird. Dasselbe ist auch für andere Arzneimittel geplant. Das erhöht letztendlich natürlich die Ausgaben der Krankenkassen. Und das zusätzlich ausgegebene Geld wollen sie dann mit Sicherheit auch wieder haben. Von uns.
#DerApotheker
#DerApotheker ist studierter Pharmazeut und arbeitet seit etwa zehn Jahren als approbierter Apotheker. Er schreibt nicht nur Bücher („DerApotheker für alle Fälle“ und „Die Wahrheit über unsere Medikamente“), sondern auch Beiträge für publikum.net und DocCheck.com. Sein Twitterkanal heißt @ApothekerDer.
Welche Medikamente fehlen zurzeit?
Aktuell sind mehr als 300 Arzneien von Lieferengpässen betroffen. Welche das genau sind, ist in einer entsprechenden Liste des Bundesgesundheitsministeriums nachzulesen.
Der Gesundheitsminister zu Homöopathie
Bereits vor seiner Amtszeit sprach sich Karl Lauterbach klar dafür aus, dass Krankenkassen keine Kosten für Homöopathie übernehmen. Bislang ist es jedoch nicht gelungen, im Bundestag eine Mehrheit dafür zu schaffen.
Was kostet die Homöopathie die Krankenkassen?
Der Bundesverband der Pharma-Industrie gibt an, dass es im Jahr 2021 471.629 Verordnungen von homöopathischen Mitteln gegeben hat, die bei den gesetzlichen Krankenkassen insgesamt für Kosten von 6.253.950 Euro gesorgt haben.
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