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So weit entfernt, wie wir im Normalfall denken, ist eine technokratische Führung vielleicht gar nicht. Das befürchtet zumindest Bestseller-Autor Norbert Häring (Endspiel des Kapitalismus) Teil 3 seiner vierteiligen Artikelserie.

Im dritten Teil schildert Norbert Häring, wie der Missbrauch von Gesundheitspässen unsere Demokratien gefährdet und welche Machtfülle die Sozialingenieure dadurch erhalten.

China als Vorbild für technokratische Führung

Das Reich der Mitte ging nie zimperlich mit seinem Volk um. Mit den Segnungen des digitalen Zeitalters ergeben sich jedoch noch ganz andere Möglichkeiten der Manipulation und Unterdrückung. Besonders kreativ zeigt sich China beim Instrumentalisieren des Sozialkreditsystems (s. Soziale Mega-Maschine, Teil 2), aber auch bei anderen digitalen Nachweisen:

Vorreiter auch beim Missbrauch von Gesundheitspässen

Chinas Regierung hat sich auch als innovativ gezeigt, wenn es darum geht, was man mit digitalen Gesundheitsnachweisen in Verbindung mit Tests und Impfungen als Zugangsvoraussetzungen zu Gebäuden und Verkehrsmitteln machen kann. Wer unbotmäßiges Verhalten an den Tag legt, zum Beispiel an öffentlichen Protesten teilnehmen will, dem wird einfach der Gesundheitsstatus auf rot gesetzt.

Dann kann er oder sie nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren und praktisch keine Einrichtung des öffentlichen Lebens mehr betreten. So geschehen laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters im Juni, als Bankkunden zu Protesten gegen monatelang eingefrorene Konten bei drei Banken fahren wollten.

Das hat nicht nur die Proteste klein gehalten. Es hat auch an alle Protestwilligen, egal wogegen, eine klare Botschaft gesendet: Schon der Versuch ist strafbar. Denn durch die rote Ampel auf ihrem Smartphone konnten die Betroffenen auch an ihrem Wohnort fast nichts mehr tun, nicht mehr arbeiten, und ihre Kinder nicht mehr zur Schule bringen.

Gesundheitspass auch in der EU

Das EU-Parlament hat am 23. Juni 2022 den digitalen EU-Covid-Pass um ein Jahr bis Mitte 2023 verlängert. Weitere Verlängerungen sind absehbar, wird doch derzeit intensiv an der internationalen Harmonisierung der nationalen und supra-nationalen Gesundheitspässe gearbeitet, um diese dauerhaft effizient im Reiseverkehr verwenden zu können.

T-Systems hat von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Auftrag dafür bekommen. Das wäre ziemlich sinnlos, wenn der digitale Gesundheitspass nächstes Jahr in der EU nicht mehr genutzt werden könnte. Die 2021 von der WHO veröffentlichten Richtlinien für digitale Gesundheitspässe wurden übrigens von der Gates-Stiftung und der Rockefeller-Stiftung finanziert.

Die technokratische Weltsicht dahinter

Die meisten, die an diesem und ähnlichen technokratischen Programmen zur Lenkung und Manipulation der Bevölkerung arbeiten, zumindest unterhalb der obersten Entscheidungsebene, tun dies in bester Absicht, die Welt besser zu machen. Hält man ihnen das totalitäre Potential ihrer Projekte vor, fühlen sie sich böswillig missverstanden, denn sie sind ja die Guten, die nur Gutes wollen.

Dass sie nicht die Definitionsmacht haben, für alle festzulegen, was gut ist, sehen sie nicht. Sie sind überzeugt, dass bei ihnen solche Instrumente in guten Händen und ihre Ziele über jeden Zweifel erhaben sind.

Technokratische Führung aus Funktionalität

Die Technokraten, die sich solche Programme ausdenken und sie verwalten, sehen die Welt einschließlich der darauf lebenden Menschen als gigantische Maschine. Der Mensch wird auf seine Funktion als Maschinenteil reduziert.

Damit die Maschine gut funktioniert muss dafür gesorgt werden, dass alle nur genau das machen, was sie sollen, nach Möglichkeit auch noch aus Überzeugung. Defekte Maschinenteile, die schlecht arbeiten oder gar sabotieren, die angebotene Heilslehre ablehnen und zur Revolution aufrufen, müssen möglichst schnell erkannt, repariert oder ausgesondert werden, im wohlverstandenen – von oben definierten – Interesse der Allgemeinheit. Dass die Menschen, die ja nur Maschinenteile sind, mitbestimmen, wie die Maschine arbeitet und was sie produziert, ist nicht vorgesehen. Es wäre mit einer effizienten Wirkungsweise der Maschine nicht vereinbar.

Kontrolle über alles und jeden

Daten, Informationen und Kontrolle über alles und jeden sind das A und O des Sozialingenieurs. Das erklärte Ziel ist die Maximierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Auf dieses Ziel hin wird per Feinsteuerung der Gesellschaft hingearbeitet. Das genaue Maß für diese Wohlfahrt, das die wohlmeinenden und klugen Eliten, die mit den Daten und Instrumenten arbeiten, ausgewählt haben, bleibt im Dunkeln und wird nicht diskutiert.

Die problematische Grundannahme dahinter: Alle Wirkungsbeziehungen in der sozialen Maschine sind bekannt oder können objektiv ermittelt werden. Sie verändern sich nicht. Alles Wichtige kann gemessen und gesteuert werden.

Die ebenso problematischen Zusatzannahmen: Die Elite ist uneigennützig, und sie ist in der Lage, eine soziale Wohlfahrtsfunktion zu berechnen, also zu bestimmen, was den Nutzen aller Gesellschaftsmitglieder in Summe maximiert.

Die Uneigennützigkeit der Machtelite wird wohl nur in Einzelfällen gegeben sein. Macht korrumpiert, heißt es nicht von ungefähr. Und dass es eine soziale Wohlfahrtsfunktion nicht gibt und nicht geben kann, sollte jedem schnell klar werden, der versucht, das Glück, die Zufriedenheit, oder was auch immer, von ganz verschiedenen Menschen mit ganz verschiedenen Präferenzen, Einstellungen und Zielen aufzusummieren. Um so leichter fällt es den technokratischen Eliten, einfach irgendwelche schön klingenden Ziele als Leitschnüre ihres Herrschens zu behaupten. Wer soll ihnen schon nachweisen, dass sie mit dem angeblich so geleiteten Handeln die Wohlfahrt der Gesellschaft nicht maximieren.

Mit Demokratie hat das alles nichts zu tun. Es ist bestenfalls wohlmeinende Diktatur, schlimmstenfalls verbrämte Despotie.

Doch bei allen Gefahren durch technokratische Methoden zeigt sich auch ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Lesen Sie in Teil 4 (Soziale Bindung statt Verhaltensmanipulation von oben) der Artikelserie, wie wir der Bedrohung trotzen können.

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